„Die Moderne kann und will ihre orientierenden Maßstäbe nicht mehr Vorbildern einer anderen Epoche entlehnen, sie muss ihre Normativität aus sich selber schöpfen“ (Habermas)
Ungleichzeitigkeit ist ein Begriff, den der Philosoph Ernst Bloch prägte, um die Ungleichheit des Fortschritts in der geschichtlichen, ethischen und ökonomischen Bildung der Menschen zu beschreiben.
Erkenntnisse der Zusammenhänge von geopolitischen Ereignissen und Strategien – (Verantwortlichkeit der USA seit dem WW2 (2. Weltkrieg) oder aktuell die Krise Russland-Ukraine und Kriegsgefahr zwischen den Weltmächten) – von Taktiken der wiedererstarkten und reaktivierten Rechtskonservativen und Faschisten sind ohne intellektuelle Ausbildung weniger durchschaubar.
Auch für Bloch ist qualitativ bestimmte Zeiterfahrung wesentlich: „Nicht alle sind im selben Jetzt da. Sie sind es nur äußerlich.“
Die Differenzierung von Zeitzugehörigkeiten nimmt er jedoch nicht nach Altersgruppen, sondern nach gesellschaftlichem Standort vor. Vor allem aber geht er der vielschichtigen Dialektik nach, die im Interagieren von ungleichzeitigen und gleichzeitigen Faktoren im deutschen Faschismus zum Ausbruch kommt.
Echte Ungleichzeitigkeit – und nicht bloße Rückständigkeit – stellt Bloch in erster Linie bei „Bauern, aber auch bei Handwerkern und dem Kleingewerbe in der Provinz“ fest.(Die AfD ist die „neue Heimat“ dieser Gruppierung.)
Da kommt dann zusammen, was noch nicht aufgearbeitet wurde: latente Unwissenheit hinsichtlich Evidenz gestützter geschichtlicher Realitäten-Beschreibung, traditioneller Intoleranz, aber auch unaufgearbeitete Mit-Schuld an den Ereignissen im Nationalsozialismus, um nicht zu sagen, vererbter Faschismus in Form von ethnischer Selbstvergewisserung, von Vorurteilen und gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit gegen Andersdenkende. Die AfD-Abgeordnete (im Übrigen zu einem hohen Anteil mit Hochschulabschlüssen ausgestattet) sind dabei gleichzeitig Profiteure der Ungleichzeitigkeit ihrer Wähler. Dass „Ratgeber“ wie der Neo-Nazi Götz Kubitschek gleichzeitig die Rolle des AfD-Einflüsterer und „Propaganda-Strategen“ für die Zersetzung der Demokratie eingenommen hat, ist belegbar. (siehe: Spaziergänger-Taktik)
So formuliert der Autor Volker Weiß in seinem Buch „Die autoritäre Revolte. Die Neue Rechte und der Untergang des Abendlandes“ : „Das Potential des Konservativen, sich im Zweifel bis zur eigenen Auflösung zu radikalisieren, lässt die Geisteswelt der Neuen Rechten historisch wie gegenwärtig weit in faschistisches Terrain hineinragen.“
Und weiter heißt es dort: „Ellen Kositza, eine Protagonistin der hier betrachteten Strömung, formulierte dies …, mit Blick auf das Logo des von ihrem Ehemann Götz Kubitschek geleiteten Antaios Verlags entsprechend deutlich: »Und doch geht es uns wie dem Emblemtier dieses Verlags, der Schlange: Sie häutet sich, häutet sich wieder – und bleibt doch immer die gleiche.« So zeigt sich, dass die Neue Rechte in vielen Dingen eine sehr alte Rechte ist. Mit ihrem neuerlichen Aufstieg steht viel auf dem Spiel (für die Demokratie).“
Auch auf eine Partei wie die CDU passt sinnbildlich Ellen Kositzas Vergleich der Schlange. Auch diese Partei scheint sich immer wieder zu häuten – und bleibt dennoch die gleiche, wie die Wahl von Friedrich Merz zum Parteivorsitzenden zeigt. Mit seiner Wahl gelingt ihr die „Verschlimmbesserung ihres Zustandes!“ Statt echter Erneuerung bleiben die alten Strukturen und Ideen, schlimmer noch: auch die alten Verhaltensweisen, wie das „Rumm-Eiern“ des CDU-Ministerpräsidenten Wüst in Sachen Pandemie-Umgang, besonders hinsichtlich der bevorstehenden NRW-Landtagswahlen. Da fischt man dann gerne auch mal im Becken der Ver-Querdenker, Corona-Ermüdeten und Lockerungs-Anhänger, egal ob dabei die Ungleichzeitigkeit noch verstärkt wird im Land.
Dieser richtungslose und ubiquitäre Rückfall in Verhaltensweisen bei heterogenen Ereignissen und Prozessen beschrieb Bloch (in Erbschaft dieser Zeit) als: „sie weise Züge jener ‚Zerstreuung‘, ‚Berauschung‘ und ‚Montage‘ auf, die er schon für die Weimarer Zeit diagnostizierte und als ‚anachronistische Verwilderung‘ und ‚Explosion des Ungleichzeitigen‘ charakterisiert hatte.“
Der Geschichtsverlauf sowie die Gesellschaft sind heute wieder geprägt von Brüchen und Diskrepanzen, Rückfällen und Stillstand. In einer Zeit wie die der aktuellen Pandemie und wachsenden Kriegsgefahr lassen sich einerseits Fortschritt (in der Wissenschaft) – der aber von Teilen der Gesellschaft nicht zur Kenntnis genommen wird -, andererseits der fehlende Diskurs über Ökonomiemodelle (siehe FDP und ihr Festhalten am Neoliberalismus) und daraus resultierend der Verfall (der Sitten, der Kirche und der Politik) sowie die Spaltung der Gesellschaft in Arm-Reich beobachten!
Dass gerade in den Demokratien ein Rückfall in den Furor der Barbarei möglich ist, zeigt vor allem das Geschehen um die Capitol-Erstürmung des Mobs – angestachelt durch den Bandstifter Donald Trump – im Zuge der Auszählung der Wahlstimmen in den USA vor einem Jahr.