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Fotografie und Philosophie – Sehen und Erkennen

Der ewige Faschismus und Rechtsextremismus + Merkmale des Ur-Faschismus – in Memoriam Umberto Eco

Spiegel online berichtet von dem Beschluss des Verwaltungsgerichts Köln, dass die AfD-Jugend (Junge Alternative) als gesichert rechtsextremistisch eingestuft gilt und vom Verfassungsschutz überwacht werden darf.

(Ergänzung vom 29.03.2024: Aktuell befasst sich das Oberverwaltungsgericht in Münster im Berufsverfahren mit dem Kölner Urteil)

Die Aufgabe der politischen Parteien (Ampelkoalition: SPD – Die Grünen – FDP), CDU/CSU, Die Linke, BSW, Freie Wähler, etc.) lautet:

Die Akzeptanz von rechtsextremistischen Meinungen (menschenfeindliches Verhalten, Rassismus, Anti-Semitismus, Extremismus und Gewaltbereitschaft, Ausgrenzungsbestrebungen von Gruppen, Intoleranz und im Denken und Verhalten erkennbare Merkmale des Faschismus) von Parteimitgliedern und Funktionären auf allen Ebenen ist zurückzuweisen und aufklärende kritische Stellungnahme dagegen zu äußern!

Nur wenn parteiinterne Diskurse die Verantwortung für die Demokratie stärken, kann der Trend des heimlichen Rechtsrucks (Umberto Eco – Der ewige Faschismus*) in den oben genannten Parteien und in der Bevölkerung gestoppt werden. Denn davon profitieren bis heute die AfD und alle, die die Akzeptanz rechtsradikaler/rechtsextremistischer Meinungen und Verhalten tolerieren! 

(*) „Faschismus und Totalitarismus, Integration und Intoleranz, Migration und Europa, Identität, das Eigene und das Fremde – die zentralen Begriffe in Umberto Ecos fünf Essays könnten kaum aktueller sein. Gerade in ihrer zeitlichen Distanz zeigt sich die Stärke von Ecos Gedanken: Losgelöst vom tagesaktuellen Geschehen, scheinen in ihnen die überzeitlichen Strukturen auf, die unserem Denken und Handeln zugrunde liegen.“ (Quelle: Buchtext) 

Merkmale des Ur-Faschismus nach Umberto Eco

(Text vom 24.06.2020)

In seinem Buch „Der ewige Faschismus“ hat Umberto Eco die Archetypen (Bilder/Anzeichen) einer totalitären und ausgrenzenden Weltanschauung aufgezeigt. In zeitlosen Beschreibungen der Strukturen dieser Ideologie spiegeln sich die aktuellen Ansätze wider, diese menschenverachtenden Handlungen und das dafür manipulierende Denken wieder zu etablieren. Sowohl Trump (USA) wie auch Erdogan (Türkei) oder Orban (Ungarn) oder Putin (Russland) und vor allem Bolsonaro (Brasilien) sind exemplarische Beispiele für Faschismus und Nationalismus á la Naziterrorherrschaft.

Auch wenn Variationen des Faschismus beschreibbar werden, wie er in Deutschland, Spanien und Italien in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts etabliert wurde, so gelingt Eco die Kategorisierung eines Ur-Faschismus, der in allen Ausprägungen und Abweichungen hilfreich ist, heutigen Faschismus in Politik, Gesellschaft und Wissenschaft zu erkennen.

Kult der Überlieferung

Gemeinsam ist allen Faschismen eine Mixtur von Kultformen mit religiösem Eifererpotenzial und okkulten Elementen (SS-Runen oder Heilrufen mit ausgestrecktem Arm wie bei den Römern zur Zeit Cäsars). Ein weiteres Merkmal dieser Kategorie sind die verqueren Bemühungen diese Verhaltensregeln als Tradition zu deklarieren.

Ablehnung der Moderne / + Irrationalismus

Allen faschistischen Ausprägungen ist gemeinsam, dass zwar moderne Technik begehrt ist, zum Beispiel als Waffentechnik oder Überwachungstechnologie, dennoch erfolgt die Ablehnung des modernen, offenen und aus der Tradition der Aufklärung kommenden Denkens. Der Geist der französischen Revolution und der Aufklärung sowie die Forderung nach Transparenz und Diskurs der gesellschaftlichen Themen (Wie wollen wir leben?) wird im faschistischen Denken als das „Verderben des Volkes“ gesehen. Nicht selten wird eine vorgeschobene Kapitalismus-Kritik praktiziert, die jedoch nicht die ökonomischen Fehlentwicklungen in den Blick nehmen, sondern durch eine „Blut und Boden-Ideologie“ oder modern durch eine irrationale völkische Ideologie ersetzt werden soll.

Kult der Aktion anstatt selbstständiges Denken

Denken und selbstständiges kritisches Hinterfragen hinsichtlich des Handelns der Machtinhaber wird als Verrat und „Kastration der Reinheit der Ideologie“ gewertet. Jede satirische und kritisch-literarische Kultur ist dem Faschismus suspekt. Misstrauen gegenüber den Intellektuellen ist „ein Symptom des Ur-Faschismus“ (Umberto Eco). Diskriminierung und Beleidigungen der Kulturschaffenden (Bei den Nazis die „Entartete Kunst“ und das Verbrennen der Bücher / heute im rechtskonservativen und rechtsnationalistischen Weltbild der Sammelbeleidigungsbegriff des „links-grün-versifften“) sind Erkennungszeichen des Faschistischen.

Ablehnung von Kritik

Der Ur-Faschismus wächst und sucht sich Konsens, indem er die natürliche Angst vor dem  Andersartigen ausbeutet und vertieft. Gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit, Ablehnung der anderen Gebräuche und Kulturen sind Merkmale des Faschismus und Nazismus. Ablehnung anderer Ethnien und kulthafte Verehrung von „Rasse“ (bei den Nazis/Neonazis: „Blut und Boden-Ideologie“) und Variationen dazu wie Gaulands Ausruf (AfD) “Wir holen uns unser Land zurück…“, sind Belege für faschistische Gesinnung.

Konzentration auf Gleichschaltung

Jegliche Abweichung im Denken und Handeln wird unterbunden. So werden Wissenschaftler, Journalisten, Künstler und liberale Juristen/Richter verfolgt, ihrer Ämter enthoben und mit Berufsverbote belegt. Das praktiziert Erdogan in der Türkei ebenso rigoros wie Orban in Ungarn und die PIS-Partei in Polen. Zuvor haben im letzten Jahrhundert die Nazis und die Faschisten in Italien und Spanien die Blaupause dafür geschaffen.

Individuelle und gesellschaftliche Frustration

„Der Ur-Faschismus entspringt individueller oder gesellschaftlicher Frustration. Darum war eines der typischen Merkmale der historischen Faschismen der Appell an die frustrierten Mittelklassen, die unter einer ökonomischen Krise und/oder einer politischen Demütigung litten( Weltwirtschaftskrise 1928/1932 / Versailler Vertrag) und sich vor dem Druck subalterner gesellschaftlicher Gruppen fürchteten.“ (Umberto Eco)

Propagierung der Fremdenfeindlichkeit

In direkter oder indirekter Form ist Fremdenfeindlichkeit ein eindeutiges Merkmal ur-faschistischen Denken und Handelns. Mit dem Versuch, ein Kriterium zu schaffen, das andere als Fremde bezeichnen hilft, wird abgehoben auf die Vorgabe: „im gleichen Land geboren zu sein“. Das ist die Grundlage für den Nationalismus jeglicher Ausprägung. Und sofern das nicht ausreicht, um andere Ethnien ausgrenzen zu können, kommt die ergänzende Begrifflichkeit von „Blut und Völkischem“ zu Hilfe.

Minderwertigkeitsgefühle gegenüber den Andersdenkenden

Der offensichtlichen Unlogik, dass ein Farbiger, der in Deutschland geboren, aufgewachsen, ausgebildet und berufliche Karriere gemacht hat, perfekter als mancher Nazi die deutsche Sprache beherrscht, dennoch kein Deutscher sei, weil er nicht dem „germanischen“ Volk entspränge, ist nicht nur ein Beleg für die Minderwertigkeitsgefühle der Faschisten, sondern auch Quelle für der Verlagerung des Diskurses auf die Ebene der körperlichen Gewalt gegen andere Ethnien und Religionen. Religionen die jedoch gleiche Merkmale im Handeln zeigen, sind in dieser Ausprägung ebenfalls ur-faschistisch zu nennen.

Ablehnung der Friedensaktivisten und Pazifisten

„Faschisten glauben, ein »Leben für den Kampf« führen zu müssen. Daher ist Pazifismus die “Kollaboration mit dem Feind.” Pazifismus ist schlecht, weil das Leben ein permanenter Krieg ist. Erst nach der „Endlösung“ dem „Endkampf“ ist ein friedliches Leben möglich für den „guten“ Faschisten.“ (Umberto Eco)

Verachtung des Schwachen / Elitedenken auf dem Hintergrund einer militaristischen reaktionären Ideologie

 Dem ur-faschistischen Verständnis eigen ist der Gedanke, dass die einzige Elite, die Gültigkeit haben darf, die der „Zugehörigkeit zum richtigen Volk“ sei. Hierin zeigt sich auch Trumps Faschismus, der im „American first“ und „great again“ propagiert wird. So wird im besten faschistischen Sinne gepredigt: “dass man mit richtigen Hautfarbe und das sind dann nur die Weißen“ zum „besten Volk der Welt“ gehöre. Ein Ur-Rassismus der der Durchsetzung der faschistischen Ideologie dienen soll. Jeder Bürger gehört zum besten Volk der Welt, die Parteimitglieder sind die besten Bürger, und jeder Bürger kann (oder muss) Parteimitglied werden. Da der „Führer“ (Trump, Erdogan wie Orban und die vielen anderen Faschisten im letzten Jahrhundert) weiß, dass er die Macht nicht demokratisch verliehen bekommen hat, sondern gewaltsam oder betrügerisch an sich gerissen hat, weiß er auch, dass seine Stärke auf der Schwäche der Massen beruht — sie sind so schwach, dass sie einen Herrscher brauchen und verdienen. Da die Bewegung hierarchisch organisiert ist (nach militärischem Vorbild), verachtet jeder Unterführer die eigenen Untergebenen, und jeder von diesen verachtet die unter ihm Stehenden. All dies stärkt das Gefühl, zu einer Elite zu gehören. Dass ur-faschistisches Handeln auch im Neoliberalismus zu finden ist, zeigen die dort herrschenden ähnlichen Strukturen. Ein Lobbyismus, der sich in den Machtzentralen mit den willigen Abgeordneten verbünden kann, bereitet letztlich auch die Zerstörung der Demokratien auf anderer Ebene vor.

Heldentum und Heldenverehrung

Mit diesem Merkmal und unter dieser Perspektive werden im Faschismus alle zum Heldentum erzogen. „In jeder Mythologie ist der Held ein Ausnahmewesen, aber in der Ideologie des Ur-Faschismus ist Heroismus die Norm. Dieser Kult des Heroismus ist eng mit dem Kult des Todes verbunden — nicht zufällig war das Motto der Falangisten »Viva la muerte!«. In nicht faschistischen Gesellschaften wird den Leuten gesagt, der Tod sei etwas Unangenehmes, dem man jedoch mit Würde begegnen müsse; den Gläubigen wird gesagt, er sei der schmerzliche Weg zu einem übernatürlichen Glück. Der urfaschistische Held dagegen ersehnt den Heldentod, der ihm als die beste Belohnung eines heroischen Lebens gepredigt wird. Der urfaschistische Held wartet mit Ungeduld auf den Tod. In seiner Ungeduld gelingt es ihm dann nicht selten, andere in den Tod zu schicken.“ (Umberto Eco)

Das Machohafte und die Figur des Machos

Trump gibt sich oder ist machohaft (lange rote Krawatte) und steht als Figur und exemplarisches Merkmal des Ur-Faschismus und für die Synthese als „Mächtiger und Held“ in Sachen „Rettung Amerikas“. „Der Ur- Faschist überträgt seinen Willen zur Macht auf das sexuelle Gebiet. Dort ist er aber seiner Schwäche als Mensch oft unterlegen (Versagen der Potenz). Deshalb neigt der ur-faschistische Held zum Spiel mit Waffen (oder sonstigen Symbolen), die dann sein Phallusersatz werden.“ (Umberto Eco)

Populismus als ur-faschistische Methode und „Führerschaft“ als Ersatz für Mehrheitsentscheid

„Der Ur-Faschismus beruht auf einem selektiven oder qualitativen Populismus. In Demokratien haben die Bürger individuelle Rechte, aber politischen Einfluss können sie nur gemeinsam unter einem quantitativen Gesichtspunkt ausüben — die Mehrheit entscheidet. Für den Ur-Faschismus dagegen haben Individuen keinerlei Rechte, während das »Volksganze« als eine Qualität begriffen wird, eine monolithische Entität, die den gemeinsamen Willen aller zum Ausdruck bringt.“ (Umberto Eco)

Da jedoch eine große Zahl von Menschen keinen gemeinsamen Willen haben kann, wirft sich der Führer zu ihrem Interpreten auf. Nachdem sie ihre Delegationsmacht verloren haben, handeln die Bürger nicht mehr.  „Sie werden nur noch von Zeit zu Zeit als Pars pro Toto zusammengerufen, um die Rolle des Volkes zu spielen. Das Volk ist also nur eine Theaterfiktion. Erkennungsmerkmal dieser Kategorie ist: Wann immer ein Politiker die Legitimität des Parlaments in Zweifel zieht, weil es nicht mehr die »Stimme des Volkes« repräsentiere, riecht es nach Ur-Faschismus.“ (Umberto Eco)

Reduzierung der sprachlichen Fertigkeiten / Verarmung von Sprache

Spracharmut und Sprachregelungen sind Elemente des Ur-Faschismus. Das haben verschiedenen Formen von Diktatur gemeinsam. Alle nazistischen oder faschistischen Schulbücher bedienten sich eines verarmten Vokabulars und einer versimpelten Syntax, um das Instrumentarium für komplexes und kritisches Denken zu begrenzen. Stereotypische Wiederholung von Trump bei allem, was ihm nicht in sein Weltbild passt, als „Fake news“ zu bezeichnen, gehört zu diesem ur-faschistischen Merkmal.

Fazit: Während also nach Umberto Ecos Archetypen/Kategorien ur-faschistische Gesinnung in diktatorisches und freiheitsberaubendes Handeln mündet, in dem gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit und Gewalttätigkeit zur Umsetzung der eigenen Ideologie eingesetzt wird, das vom „Führer“ als dem „Besten“ der Masse legitimiert wird und populistisch zur Mainstream-Meinung unters „Volk“ gestreut wird, sind in Abgrenzung dazu die Freiheit der Rede, die Pressefreiheit im Sinne der „vierten Kraft“ (und nicht im Sinne eines vorauseilenden Bütteltums), die Versammlungsfreiheit und die Gewaltlosigkeit sowie der Respekt dem Mitmenschen gegenüber seine Freiheit nicht zu begrenzen die Merkmale eines demokratischen Zusammenlebens.

“Die Worte Franklin D.Roosevelts am 4. November 1938 sind es wert, in Erinnerung gerufen zu werden: »Ich wage zu behaupten: wenn die amerikanische Demokratie aufhört, als lebendige Kraft voranzuschreiten, um Tag und Nacht mit friedlichen Mitteln das Los unserer Bürger zu verbessern, wird der Faschismus in unserem Lande an Kraft gewinnen!“ (Umberto Eco)

Freiheitliche Demokratie ist zudem Ausdruck von Toleranz (im Gegensatz dazu sind die systematische Unterdrückung und Entdemokratisierung in Ungarn (Orban), in der Türkei (Erdogan) und in Russland (Putin).   Die Aktionen der AfD wie ihre Bemühungen, Faschismus und völkische Weltsicht salonfähig zu machen, sind ein Beispiel dafür, warum diese nicht nur  faschistisch/neonazistisch genannt werden muss,  sondern ein exemplarisches Beispiel für Intoleranz und Vorurteile darstellt, die Wesensmerkmale des ur-faschistischen Denkens und Handels sind.

Aber der Ur-Faschismus mit seinen negativen Wirkungen auf die Menschen ist nicht nur in politischen Systemen zu finden, sondern auch in Religionen und ihrem fundamentalistischen Zweigen sowie in ökonomischen Systemen, die in ihren Ausprägungen Elemente und Archetypen des Ur-Faschismus erkennen lassen.

“Die gefährlichste Intoleranz ist genau diejenige, die ohne jede Doktrin oder Theorie allein aufgrund elementarer Triebe entsteht. Deswegen kann sie nicht mit Vernunftargumenten kritisiert und aufgehalten werden. Die theoretischen Grundlagen von Hitlers Mein Kampf lassen sich mit einer Reihe von ziemlich elementaren Argumentationen widerlegen, aber wenn die Ideen, die das Buch propagierte, überlebt haben und jeden Einwand überleben werden, dann deshalb, weil sie sich auf eine rohe Intoleranz stützen, die gegen jede Kritik immun ist. Ich finde die Intoleranz von Bossis Lega Nord gefährlicher als die des Front National von Le Pen. Le Pen hat hinter sich immer noch Intellektuelle, die Verrat begangen haben, während Bossi nichts anderes hat als rohe Triebe.” (Umberto Eco)

Noch einmal, die schlimmste Intoleranz ist die der Armen, die immer die ersten Opfer der Verschiedenheit sind. Unter den Reichen gibt es keinen Rassismus. Die Reichen haben höchstens die Doktrinen des Rassismus produziert, die Armen produzieren seine Praxis, die viel gefährlicher ist.

Die Intellektuellen können gegen die rohe Intoleranz nichts ausrichten, denn vor dem rein Animalischen, das kein Denken kennt, ist das Denken wehrlos. Und wenn sie gegen die doktrinäre Intoleranz kämpfen, ist es zu spät, denn sobald die Intoleranz zur Doktrin gerinnt, ist sie nicht mehr zu besiegen, und die es tun müssten, werden zu ihren ersten Opfern.

Erwachsene Menschen, die aus ethnischen und/oder religiösen Gründen aufeinander schießen, zur Toleranz erziehen zu wollen, ist Zeitvergeudung. Zu spät. Die rohe Intoleranz muss an der Wurzel bekämpft werden, durch eine permanente Erziehung, die im zartesten Alter beginnt, bevor sie zu einer Doktrin gerinnt und eine zu dicke und harte Verhaltenskruste wird.

Manche Werte, die typisch für die europäische Sicht der Welt sind, repräsentieren ein Erbe, auf das wir nicht verzichten können. Zu entscheiden und anzuerkennen, was innerhalb einer toleranten Weltsicht für uns intolerabel wäre, ist die Art von Grenzlinie, die wir Europäer jeden Tag neu ziehen müssen, mit Sinn für Gerechtigkeit und ständiger Ausübung jener Tugend, welche die Philosophen seit Aristoteles Klugheit nennen.

Klugheit in diesem philosophischen Sinn heißt nicht Risikoscheu, und sie fällt auch nicht mit Feigheit zusammen. Im klassischen Sinne von phronesis ist Klugheit die Fähigkeit, sich zu beherrschen und durch Gebrauch der Vernunft zu disziplinieren, und als solche ist sie zu einer der vier Kardinaltugenden erhoben und oft mit Weisheit und Einsicht assoziiert worden, das heißt mit der Fähigkeit, zwischen tugend- und lasterhaftem Handeln zu unterscheiden, nicht nur im allgemeinen Sinne, sondern im Hinblick auf richtiges Handeln zur gegebenen Zeit am gegebenen Ort.” (Umberto Eco)

 Quelle: Den Vortrag »Der ewige Faschismus« hielt Umberto Eco am 25. April 1995 in englischer Sprache in New York; Anlass war ein von der Columbia University veranstaltetes Symposium zum 50. Jahrestag der Befreiung Italiens vom Faschismus.

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