Johannes von Heinsberg – Bildsprache – Wortsprache

Fotografie und Philosophie – Sehen und Erkennen

TikTok – verschwörungsproduzierende Plattform der 14-29 jährigen Altersgruppe?

 

Wenn Emotionen die Basis des Austauschs sind und der soziale Wunsch auch dazu zu gehören, was die eigene Altersgruppe für angesehen hält, dann hat gerade bei den Jugendlichen Teens + Twens (14-29 Jährige) die Plattform Tiktok eine unverhältnismäßig große Bedeutung.

Die Informationsverbreitung geschieht überwiegend über Videos. Stereotypen der Äußerlichkeiten – Gesichter, Mode, Accessoires, Stimmlage und Tränen – wirken direkt auf die visuellen Emotions-Verarbeitungskanäle der Empfänger und Konsumenten. Wird das reine Sehen schon zur Erkenntnisverarbeitung? (Wird nur gesehen, oder auch Erkenntnisse gewonnen und verstanden?) Die kurzen Videos werden von „Hinz und Kunz“, von jeder/jedem der videoaffinen Influencer (jede:r kann sich in diese Rolle begeben),  dabei ohne großen Tiefgang und Recherche hunderttausendfach verteilt.

Erzählungen und ungefilterte Geschichtchen werden zu allen möglichen Themen zu scheinbaren Wahrheiten zusammengebastelt und fluten das Netz. Tiktok als  Medium und Mittel der Meinungsmache und Halbwahrheiten beeinflussen die Gedanken, die Worte, das Handeln und die Gesinnung dieser Altersgruppe.

In dem Artikel „Die Teenie-Querdenker:innen“ auf Krautreporter (für eine Woche frei zugänglich!) schreibt die Autorin (Isolde Ruhdorfer):

„Wenn ich eine alternative Realität besuchen will, öffne ich Tiktok. Dort ist Israel ein zutiefst böser Staat, westliche Medien lügen grundsätzlich und ich bin ein schlechter Mensch, wenn ich mich nicht für Palästina einsetze. In dieser alternativen Realität gibt es Gut und Böse und nichts dazwischen.

Der Hashtag #standwithisrael hat auf Tiktok 500 Millionen Aufrufe, #freepalestine 30 Milliarden, also 60-mal mehr. Auf der Plattform bildet sich ein abgeschlossenes System: Wer sich nur dort informiert, hat unzählige Videos von leidenden Palästinenser:innen gesehen, aber wahrscheinlich kein einziges über die Gräueltaten der Hamas an den Israelis.

Die Wirkung dieser Plattform ist verheerend. Karl Poppers Begriffskategorien zum Handeln in der Welt –  gesinnungsethisch versus verantwortungsethisch – schlägt aufgrund des dominierenden Algorithmus in Tiktok  zum ersteren Begriff aus! Statt das eigenen Handeln auf die Übernahme von Verantwortung auszurichten und die Folgen des eigenen Denkens und Handelns zu bedenken, wird Gesinnung verinnerlicht und Verantwortung hinten angestellt.  

Poppers Regeln der Kommunikation kommen auf Tiktok nicht zum Tragen! 

„Wenn eine 16-Jährige wissen will, warum es im Nahen Osten einen Krieg gibt, dann ist es ziemlich unwahrscheinlich, dass sie sich diesen langen Krautreporter-Artikel zur Geschichte des Israel-Palästina-Konflikts durchliest. Viel eher wird sie Tiktok öffnen und in die Suchleiste „Israel Palästina Erklärung“ eingeben. Dann wird sie sich einige Videos dazu ansehen, in denen Creator:innen in wenigen Minuten ihre Sicht auf den Krieg darlegen.“

„Die Folgen dieser Entwicklung sind bereits messbar: Wie eine repräsentative Befragung unter Deutschen zum Krieg gegen die Ukraine ergab, sind Verschwörungsmythen unter jungen Menschen besonders verbreitet. Zum Beispiel stimmten zehn Prozent der 16- bis 29-Jährigen der Aussage zu, dass der Krieg in der Ukraine notwendig sei, um die dortige faschistische Regierung zu beseitigen. Unter der gesamten erwachsenen Bevölkerung waren nur 4,7 Prozent dieser Ansicht.“ (Quelle: Krautreporter-Artikel „Die Teenie-Querdenker:innen“!)

Die Generation Z wünscht sich von den Medien „mehr Wahrnehmung und Respekt“ derjenigen gesellschaftlichen Gruppen, die bisher eher im „Dunkeln“ sich befinden.

Laut Krautreporter-Artikel kommt die Bildungsforscherin und Politologin Nina Kolleck zur Schlussfolgerung: „Die Jugendlichen verbringen mehr Zeit mit dem reinen Konsum von Inhalten und werden quasi en passant von verschwörungstheoretischen Inhalten beeinflusst“, sagt Kolleck. Denn wer nur passiv zuschaue, aber nichts aktiv beitrage, hinterfrage die Inhalte nicht kritisch. Die kurzen Videos seien gut darin, Emotionen zu setzen und einen unbewusst zu beeinflussen.“

Diese passive Haltung zeige sich auch daran, wie sich Nutzer:innen auf der Plattform für bestimmte Themen engagieren: Es sei  üblich, in einem Video, dessen Inhalt man wichtig findet, die Uhrzeit zu kommentieren. So sammelten sich unter einem Video schnell die Kommentare und erhöhen die Reichweite.

Die Videoproduzenten würden die Tiktok-Konsumenten benutzen, in dem gezielt Filter und Sounds angeboten würden, um Menschen aus einem bestimmten Land finanziell zu unterstützen – und das, ohne ihnen Geld zahlen zu müssen.

„Du sitzt einfach da, entspannst dich und nutzt einen Sound oder Filter. So einfach ist das!“, sagt dieser Creator in einem Video.

Die Bequemlichkeit wird ausgenutzt und ohne tatsächlich Verantwortung zu übernehmen oder zumindest kreativ zu sein, müsse nur der Sound einfach unter ein Selfie oder das Bild von einer Kaffeetasse gelegt werden. Und schon ist das Gefühl da, man rette die Welt mit!

„Es ist die denkbar einfachste Art, um das Gefühl zu bekommen, etwas Gutes getan zu haben: Man muss nichts schreiben oder sagen, man muss keine Meinung formulieren, man muss kein Geld spenden, man muss das Haus nicht verlassen und nicht einmal das Handy aus der Hand legen.“ (Krautreporterin Isolde Ruhdorfer!) 

Daraus folgt:

  • Tiktok ist die Plattform für kurze Videos
  • Tiktok bietet alternative Realitäten als Wahrheit der Altersgruppe der 14-29 Jährigen
  • Tiktok bedient überwiegend Emotionen, die von Stereotypen nur so strotzen
  • Tiktok produziert parallele Informationen, die als Wahrheit – weil von „sichtbaren“ (KI?) Personen erzählt – über die Ereignisse der Welt gesehen werden
  • Tiktok prägt die Weltsicht der Generation Z, in dem die Kappung zu den anderen Teilen der Gesellschaft  und deren Erfahrungen als Gütemerkmal zählt ,
  • Tiktok bedeutet, dass persönliche Geschichtchen den Stellenwert von historischen Erkenntnissen erhalten und einnehmen
  • Tiktok bedeutet: mehr als 20 Millionen Menschen in Deutschland nutzen die Plattform – überwiegend passiv konsumierend!
  • Tiktok ist massiv manipulierend – auch weil „das vermeintlich Gute getan werden kann“, ohne große Anstrengung zu haben!
  • Tiktok wirkt als verschwörungsproduzierende Plattform auf die 14-29 Jährigen?

Schöne neue Welt für politische Brandstifter und Populisten aller Couleur, die vor allem eines einigt: Feinde der demokratischen Gesellschaft zu sein! 

Karl Popper – Regeln für eine Kommunikation

Ergänzung 

Podcast des Politikwissenschaftlers Claus Leggewie beim Deutschlandfunk als Gegenentwurf zum Tiktok-Einheitsbrei emotionaler Oberflächlichkeit

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