Zwischen unverstelltem und verstelltem Blick
Europa – der ursprüngliche EU-Gedanke
Gemeinschaft, Kommunikation und Teilhabe sind als Werte und System in diesem Bild zu erkennen. Die Grundbedürfnisse Essen und Kommunizieren sind abgebildet. Sich verständigen und das Handeln abzustimmen, sind ebenfalls nachvollziehbar. Hier sind die Kerngedanken menschlichen Lebens in der Gesellschaft wiedergegeben.
Beim Betrachten dieses Abbildes und der erkennbaren Symbolik käme niemand auf den Gedanken, dass die Menschen in dieser dargestellten Community ausgrenzende Parolen schreien werden wie „Wir sind das Volk“ oder „Ausländer raus“ und sonstige Hetzparolen rassistischer und menschenfeindlicher Natur.
Europa ist geprägt durch den Einflussbereich der griechisch- und römisch-antiken und christlichen Kulturen. Und schon Aristoteles hat in seiner „Nikomachischen Ethik“ den Aspekt des politischen und gesellschaftlichen Wesens beim Menschen herausgestellt. Der Mensch als zoon politikon reduziert sich nicht auf tumbes Gegröle. Demokratie als Volksherrschaft, in der das Gemeinwohl im Mittelpunkt steht, bedeutet auch, dass keine Gruppe sich anmaßt, ihren Einfluss zum Vorteil ihrer Eigeninteressen zu nutzen. Es sind Verhaltensweisen, welche das Kommunitaristische als Kerngedanke der Gesellschaft fördern.
Wenn jedoch in Form einer kleinen Gruppe – die Besitzende ungeheuren Reichtums sind – deren Eigeninteressen im bestehenden Staatsgefüge alleine oder überwiegend verfolgt werden, dann werden in dieser oligarchischen Umgebung schnell tyrannische Strukturen sich etablieren. Das geht dann immer auch einher mit physischer und psychischer Gewalt – der Mob lässt sich dafür schnell einspannen von den Menschenbeeinflussenden und den propagandistischen Brandstiftern.
Wie wir leben wollen, das war und ist Gegenstand von Vereinbarungen. Was für alle ein gutes Leben bedeutet, ist vor allem in eine Gesellschaftsform zu gießen, an deren Gestaltung alle Teilnehmer beteiligt sind. Wer ein Europa gestaltet, in dem die Entscheidungen wenigen, nicht von der Allgemeinheit gewählten und kontrollierten Institutionen der Bürokratie und der verknüpften exekutiven und legislativen Ebenen ( EU-Ministerrat, EU-Kommission, EU-Parlament) überlassen bleibt, der verrät den Europa-Gedanken der friedlichen Koexistenz und der damit verbundenen Gemeinschaft und des verantwortlichen Miteinanders!
Ein Europa der nationalstaatlichen Eigensucht und Kurzsichtigkeit wird erpressbar und öffnet der Unsicherheit und der gewalttätigen Auseinandersetzung sowie der Zerstörung von Demokratie und Frieden wieder Tür und Tor.
Gedankenmodelle, die nicht der gemeinschaftlichen Lösung von wirtschaftlichen Problemen, sich nicht der gemeinschaftlichen Lösung der Problemlage der Asylsuchenden und nicht der Abwehr der Privatisierungen der Gemeinwohl-Infrastrukturen sich widmen, diese Gedankenmodelle öffnen die Büchse der Pandora des rassistischen und faschistischen Agierens.
Austerität im Falle der finanzkrisengeschüttelten Ländern, autoritäre und freiheitsabbauende Strukturen und Zerstörung rechtsstaatlicher Einrichtungen in EU-Staaten und die Einführung überwachender Infrastrukturen sind Auswüchse, die Europa gefährden und in den Demokratieabbau führen.
Die Kulturlosigkeit, die vergessene Ausrichtung an einer Ethik der gemeinschaftlichen Gestaltung, in dem jeder mitgenommen wird und das Gemeinwohl in den Mittelpunkt der Politik gestellt wird, führt in die Unregierbarkeit. Parallel dazu steigt die Gefahr der Diktatur und des Chaos.
Es bildet sich in Europa das Gegenteil dessen, was in dem Bild von Giampietrino symbolisch zu erkennen ist. Der „Verlust der Tugenden“ (Alasdaire MacIntyre) als ethisch-moralische Krise der Gegenwart wird im Zustand des jetzigen Europas ebenso sichtbar, wie der Verlust der Gerechtigkeit als Grundlage für eine gemeinsam gewollte Gesellschaftsform.