Was ist (für mich) Philosophie? Posted on 3. April 2012 by JvHS
Manchmal werde ich gefragt: „Was ist für dich Philosophie?“; ich antworte in der Regel darauf, dass die Frage „Was ist Philosophie?“ zuvor geklärt werden sollte, bevor die zuerst gestellte eventuell beantwortet werden kann.
Philosophie ist kein Schubladenschrank, in dem die jeweiligen Aspekte philosophischer Gegenstände eingeordnet werden, genauso wenig wie eine Landkarte, auf dem sich die alten Disziplinen Metaphysik, Erkenntnistheorie, Ethik, Moral, Ästhetik und Logik als
Bezeichnung und Ordnungsmerkmal gegliedert darstellen.
Philosophie ist in erster Linie eine Tätigkeit reflektierenden Denkens, in der die Analyse die beherrschende Art des philosophischen Denkens darstellt und in einem sprachlichen Ausdruck sich widerspiegelt.
Auch wenn in meinem Denken und Handeln Überzeugungen, Vorlieben, Ideale, Werte und Wünsche nicht ausgeschlossen werden können, so bleibt dennoch die Intention, philosophisches Denken als Befassung mit den Voraussetzungen für vernünftiges Denken
zu sehen, welches sich auch damit befasst, handelnd, will sagen analysierend und argumentierend, die notwendigen Voraussetzungen zu schaffen, um vernünftiges Denken – und dessen Widergabe in vernünftiger Sprache – zu ermöglichen.
Wenn also eine Wirtschaftsphilosophie zu beschreiben wäre, oder eine Staatsphilosophie oder eine Ethik und Moral, dann ist mein zugrunde liegendes Verständnis von Philosophie immer jenes, welches sich auf die Erkenntnisse, Logik und Sprache der gemeinhin als „Wissenschaftstheorie“, „Sprachphilosophie“ und „Philosophie des Geistes“ bezeichneten Gebiete bezieht und gründet.
Philosophie ist eine Tätigkeit der Vernunft, die sich generell mit den Grenzen der Wahrnehmung beschäftigt und diese als Fähigkeit entwickelt, Wissen über die Welt zu formulieren, die unabhängig von unserer Erfahrung besteht, jedoch Erfahrungswissen nicht ausklammert und den Abgleich der naturwissenschaftlichen Forschungsergebnissen mit den erkenntnistheoretischen Realismus Theorien sucht.
Wenn auch Philosophie das „Denken über das Denken“ beinhaltet, somit die Entwicklung von Theorien oft das „Ergebnis“ philosophischer Tätigkeit darstellt, gehört für mich die Philosophie auf die Straße, will sagen in das reale Berufs- und Alltagsleben. Die Abgrenzung als rein akademischer Betrieb mag seine Berechtigung haben hinsichtlich der Arbeitsplätze von akademisch Beschäftigten im Hochschulbetrieb und der damit verbundenen Lehre und Forschung, sie stellt allerdings nicht meine Intention und
Tätigkeit des Denkens dar.
Philosophie auf die Straße zu bringen, bedeutet, das Wissen und die Erkenntnisse auf das Handeln auszurichten und auf die Umsetzung für eine „Wissenschaftstheorie“, eine „Wirtschaftsmoral“ und für eine „Ethik des menschlichen Zusammenlebens“ hinzuarbeiten.
In diesem Verständnis wird Philosophie als Tätigkeit des vernünftigen Denkens die vorbereitende Klammer und die Grundlage für den Naturwissenschaftler, den Unternehmer, den Lehrenden im Bildungsauftrag, den Arzt, den Juristen, den Fotografen, Künstler, Journalisten und den Politiker.
Das Verhältnis von Empirie, Handlung und Erfahrung einerseits und Denken, Logik und Sprache andererseits ist in der Gefahr zur Dichotomie zu verkommen; Philosophie als erkenntnistheoretische Realismus Debatte ist weiterhin im Fluss auch hinsichtlich der Frage nach der Eindeutigkeit der dichotomischen Trennung.
Auf philosophische Holzwege geraten wir nur zu oft, deshalb mag Max Schelers Formulierung einen praktischen Faden zur Verfügung stellen:
„ Der Mensch ist, bevor er ein denkendes und wollendes Wesen ist, ein liebendes.“
Allerdings gilt auch: Eigenständiges Denken ohne vorangegangenes Denken ist nicht denkbar.
Wir müssen mit der eigenen Widersprüchlichkeit und Unvollkommenheit leben. Aber moralische Verantwortlichkeit fußt nicht auf vollständige Selbsterkenntnis und jene ist nicht Voraussetzung, moralisch handeln zu können.
Und damit sind schon 2 Facetten der praktischen Philosophie benannt, die den Alltag kräftig mit beeinflussen.
Gerechtigkeit ist ein weiterer Begriff, welchen die praktische Philosophie auch aktuell zu hinterfragen hat. John Rawls ” Eine Theorie der Gerechtigkeit” mag beim Denken über Gerechtigkeit einen Ansatz darstellen. Es ist an der Zeit, dass im aktuellen Geschehen zur Debatte zwischen Deutschland und der Schweiz hinsichtlich der Steuergerechtigkeit einerseits, und dem Geschäftsmodell der Schweizer Banken andererseits die o.g. Philosophie zur Pflichtlektüre für alle beteiligten Entscheider wird!