Am 29.07.1974 starb Erich Kästner. Der Autor dieses Beitrags befand sich zur gleichen Zeit mit zwei jungen Frauen (Schwester und spätere Lebenspartnerin) auf einer Fahrradtour durch die Eifel und entlang des Ahrtals und des Mittelrheintals. In der Freude an einer unbelasteten Tour durch Landschaften, die gemeinhin als romantisch verortet wurden, galt auch auf der Fahrt jene Lebenssicht, die von vielen heute wieder als Flucht vor der Realität dient! Und die der Schauspieler Anthony Hopkins so beschreibt:
„Keiner von uns kommt lebend hier raus. Also hört auf, Euch wie ein Andenken zu behandeln. Esst leckeres Essen. Spaziert in der Sonne. Spring ins Meer. Sagt die Wahrheit und trag euer Herz auf der Zunge. Seid albern. Seid freundlich. Seid komisch. Für nichts anderes ist Zeit!“
Diese Sicht auf die Welt ist die Flucht ins private und in biedermeierliche Idylle. Ein Bedürfnis, sich nicht erdrücken zu lassen, wenn die Orientierung droht verloren zu gehen aufgrund der ungelösten Probleme der Menschheit. Verständlich – doch vielleicht auch schwierig für die Realisierung einer wehrhaften Demokratie.
Zurück zu Erich Kästner. Er hat den Repressionen der Anti-Demokraten in der Nazi-Zeit zu trotzen versucht, und ist trotz der Gefährdung seines Lebens dennoch in diesem Unrechtsstaat geblieben. In seinem Fünfzeiler hat Kästner die Doppelmoral und die Destruktion des politischen Mottos: „Die Mittel heiligen den Zweck“ transparent gemacht. Ein Motto, dass auch bis heute politisches Verhalten kennzeichnet, wie die letzten politischen Ereignisse zeigen.
Und von Kästner entlarvt wurde das destruktive Motto, das Versagen und Unrecht entschuldigen soll:
- Der Zweck sagt ihr, heiligt die Mittel?
- Das Dogma heiligt den Büttel?
- Den Galgen? Den Kerkerkittel?
- Fest steht trotz Schrecken und Schreck:
- Die Mittel entheiligen den Zweck!“
Kästner blieb in seinem Leben nicht verschont von dem, was viele Menschen ebenfalls erleben: das Scheitern der Beziehung. Kästner verarbeitete dieses Trauma in seinem Gedicht „Sachliche Romanze“! Ein Beispiel für den Umgang in Zeiten des „nicht gelingenden Lebens“ temporärer Ereignisse:
Sachliche Romanze
Als sie einander acht Jahre kannten
(und man darf sagen: sie kannten sich gut),
kam ihre Liebe plötzlich abhanden.
Wie andern Leuten ein Stock oder Hut.
Sie waren traurig, betrugen sich heiter,
versuchten Küsse, als ob nichts sei,
und sahen sich an und wußten nicht weiter.
Da weinte sie schließlich. Und er stand dabei.
Vom Fenster aus konnte man Schiffen winken.
Er sagte, es wäre schon Viertel nach Vier
und Zeit, irgendwo Kaffee zu trinken.
Nebenan übte ein Mensch Klavier.
Sie gingen ins kleinste Cafe am Ort
und rührten in ihren Tassen.
Am Abend saßen sie immer noch dort.
Sie saßen allein, und sie sprachen kein Wort
und konnten es einfach nicht fassen.