Johannes von Heinsberg – Bildsprache – Wortsprache

Fotografie und Philosophie – Sehen und Erkennen

Documenta 15 – Kontextualisierung statt Diskurs – Vorurteile statt aufgeklärter Versöhnung?

Das Banner des Anstoßes! Das Recht auf Kunstfreiheit findet seine Grenzen! Denn Freiheit ist immer dort begrenzt, wo es die Freiheit und die Rechte der anderen beeinträchtigt. Und gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit – versteckt in bildnerischen Produkten – ist nicht hinnehmbar.

Die diesjährige documenta 15 kommt aus der Spirale gegenseitiger Vorwürfe und Anschuldigungen nicht hinaus. Dass nun Politiker fordern, die Kunst der documenta 15 mit einem Monitoring und einer umfassend begutachtenden Bewertung zu durchforsten, gibt dem Diskurs und der teilweise  berechtigten bisherigen Kritik einen besonderen Zungenschlag. Das Feld der Kunst zur Profilierung der Politik zu nutzen, wird nicht unbedingt zur Qualitätssteigerung des Diskurses beitragen. Es hat eher den Beigeschmack, dass die Beurteilung, was gültige und förderberechtigte Kunst ist, nur durch die Politik bewertet werden könne, weil diese auch über die Fördergelder bestimmen. Sozusagen dem Mantra folgend: wer zahlt, bestellt auch die Kunst. Und wenn die Kunst oder was und wie sie inhaltlich zu sein hat, einer solchermaßen wertenden Selektion nicht standhält, der streichen die Herren der Politik dann die Förderung.

„Kunst ist die Signatur der Zivilisation.“ (Jean Sibelius, 1865-1957)

Der Kern der Debatte und die Kritik an der documenta 15 kreist um das Thema, dass platter Antisemitismus in Machwerken zum Ausdruck gebracht wurde, jedoch die Macher dieser Werke in keiner Weise einem ästhetisch-künstlerischen Anspruch gerecht würden. Wer dem Aphorismus Sibelius` folgt, ist Kunst nur in Gesellschaften zu finden, die den Merkmalen der Zivilisation gerecht werden. Was aber setzt Zivilisation voraus? Das sesshafte Leben mit Arbeitsteilung, in Städten lebend und mit einer demokratischen Verfassung als Gesellschaftsvertrag das Zusammenleben bestimmend? Ist ein Gesellschaftsvertrag nur dann als solcher zu bezeichnen, wenn dieser Freiheit, Gleichheit und Solidarität in demokratischer Ausprägung umfasst? Sind in Diktaturen ästhetische Produktionen nicht als Kunst benennbar? 

„Kunst ist Magie, befreit von der Lüge, Wahrheit zu sein.“ (Theodor W. Adorno)

Oder bedingt Adornos Aussage, dass Kunst das Faszinierende und das Erhabene enthalten muss, um das Machwerk dann Kunst nennen zu dürfen? Kann das entfernte Werbebanner auf der documenta 15 deshalb nicht Kunst genannt werden, weil es weder magische Anziehungskraft versprüht, noch ästhetischen Ansprüchen genügte? Ist die Kategorisierung Adornos tatsächlich die, dass Kunst keine objektive Wahrheit und faktische Sachlichkeit beinhalten muss, um erst dann als Kunst anerkannt zu werden? Adorno argumentierte für die Anerkennung der Kreativität, die erst spät und oft nach dem Tod der Künstler als Kunst akzeptiert wurde. Als Beispiele dienen die letzten 150 Jahre mit den Kunstrichtungen: Impressionismus, Kubisten, Futuristen, Expressionisten, Neue Sachlichkeit und Avantgardisten oder mit den Werken von Pablo Picasso, Georges Braque, Max Beckmann, Franz Marc, Paul Klee und Piet Mondrian bis hin zur documenta 1 (Vergangenheitsbewältigung und Aufarbeitung der „Entarteten Kunst“ der Nazis) und documenta 2 (Kunst nach 1945), welche sich inhaltlich dem Zustand der Kunst in den 1950er Jahren widmeten.

„Kunst ist Anklage, Ausdruck, Leidenschaft!“ (Günther Grass)

Die Definition von Günther Grass dürfte als Maßstab, was Kunst ist, auch für das entfernte Banner bei oberflächlicher Betrachtung vermeintlich zutreffend sein. Wer die Grafiken von Grass betrachtet und  zugrunde legt, wird feststellen, dass über den von ihm verfassten Dreiklang hinausgehend eine andere ästhetische Ausstrahlung vorhanden ist, die gerade im entfernten Banner-Plakat nicht vorzufinden ist.

„Kunst ist ein humanitärer Akt. Kunst sollte in der Lage sein, die Menschheit zu beeinflussen, die Welt zu einem besseren Ort zu machen.“  (Jeff Koons)

Unter diesem formulierten Anspruch dürfte die meisten Kunstwerke wohl deshalb nicht Kunst genannt werden, wenn das politische und handlungsleitende Ziel nicht erkennbar ist. Das aber würde deutlich zu kurz greifen. Zu handeln, wie gehandelt wurde, ist bei der documenta 15 – wie bei jeder bisherigen auch – vom Zeitgeist und den aktuellen Themen der Gesellschaft,  sowie den Personen in der Leitung und Organisation bestimmt.

„Kassel, wir haben ein Problem!“ Die Künstler als kreative, anarchische Rebellen sind nicht mehr sichtbar; aber als Bürger sind sie auch nicht mehr Demokraten. Diesen Spagat haben Taring Padi, protegiert von den Machern der documenta 15 namens „Ruangrupa“, nicht hinbekommen.

Documenta 15 und das Banner des Anstoßes – Wann sind politische Bildinhalte auch Kunst?

In jeder documenta ist immanent das Ringen um die Übersicht der aktuellen Kunst enthalten. Auch das Ringen darum, welche gesellschaftliche Matrix wirksam ist. Kunst ist immer das Reibeisen, das dem aktuellen Zeitgeist Profil verschafft, ihn herausarbeitet und eine neue Dynamik künstlerischer Strömungen entwickelt. Möglich bleibt aber auch, dass die Kunst trivialisierend verdünnt wird. Die Krise der diesjährigen Documenta zeigt sich auch darin, dass diese Kunstschau ihren Nimbus als anerkannte und nicht antastbare Institution längst verloren hat. 

„People’s Justice“ – ein Banner ethisch und ästhetisch außer Rand und Bann? – documenta Machwerk von Taring Padi verhüllt!

Die documenta 15 hat die Tendenz, eine Kunstvermittlung mit beschränkter Haftung zu werden und wie Hans Platscheck 1977 formuliert: „.. es sind stets die Planungsstäbe, die einem die documenta verekeln.“ (Harald Kimpel „Documenta – Mythos und Wirklichkeit“, S. 180) 

Documenta als Werkkunstschau zwischen Aversion und Akzeptanz – Anspruch auf Übersicht der Gegenwartskunst noch erfüllbar?

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