Johannes von Heinsberg – Bildsprache – Wortsprache

Fotografie und Philosophie – Sehen und Erkennen

Radikalität – Bestandteil des Alltags und Auswirkung auf das Leben der Menschen

„Es gibt für die Menschen, wie sie heute sind, nur eine radikale Neuigkeit – und das ist immer die gleiche: der Tod.“ – Walter Benjamin

Denn nicht oft genug kann den radikalen Illusionisten, die heute geradeso wie das alte Regime jeden unabhängigen Mann, der ihnen unbequeme Wahrheiten sagt, niederknüppeln möchten, zugerufen werden: Wir wollen die demokratischen Errungenschaften dauernd sichern helfen. – Max Weber

Die Forderung nach radikaler Transparenz in der Politik und Ökonomie fürchten die dortigen despotischen Machtinhaber am meisten! – JWB

Wie zeigt sich Radikalität? Der Anschlag auf die „Twins“, die beiden Türme des World-Trade-Centers 2001, zeigt sich als Beispiel für Radikalität, weil zur Tat eine besondere Rücksichtslosigkeit sichtbar wurde, die in Kamikaze-Haltung der ausführenden Täter weder auf das eigene, noch auf die tausende anderer Leben achtete und die keine Abkehr vom Plan und der Zielerreichung erkennen ließ. Rücksichtslosigkeit gepaart mit Skrupellosigkeit, ein Bündnis destruktiver Denkhaltung und Tatausführung. Eine Brücke zwischen abstruser und vergifteter Theorie und negativ emotional gesteuerter Praxis. Bedingt durch die Verdichtung einer gewaltbereiten Pseudo-Religion mittels Indoktrination, Manipulation und Unterwerfung zum Zweck der Vernichtung anderer Weltsicht und Regeln für ein gesellschaftliches Leben in Freiheit, Gleichheit und Toleranz.

Des Weiteren sind neben den terroristischen Anschlägen der Hamas in Israel und aktuell in Australien, auch die Angriffskriege Russlands gegen die Ukraine, die Schwächung und der Umbau des Rechtsstaates und der Gewaltenteilung in den USA durch Trumps MAGA-Konzept, sowie die temporären Dealer-Clan-Strukturen auf Seiten von China,  USA und Russland zu benennen.

Wer nimmt Radikalität wie selbstverständlich in Anspruch? Die oben beschriebene und konstruierte Machtausübung mit der Zuspitzung der Konzentration von Macht in einer Person oder einer Gruppe findet nicht nur in Religionen, sondern auch in der Politik, in Staatsformen und Wirtschaftssystemen statt. 

Durch wen wird Radikalität praktiziert? Für aktuelle und exemplarische Beispiele stehen Trump und seine Kumpanen der Partei der Republikaner in den USA ebenso wie Putin mit seiner Entourage in Russland, Erdogan in der Türkei und nicht zuletzt alle Nationen, in denen Rechtsradikalismus und gewalttätiger Terror Menschen unterdrücken und demokratische Strukturen verhindern oder die Abschaffung vorhandener, aber schwacher Demokratien praktizieren.

Doch sind eventuell auch subtilere Formen von Radikalität im Alltag vorhanden, die genauso menschenfeindlich und destruktiv wirken, wie die oben genannten Terror-Beispiele?

Wenn Radikalität praktiziert wird, sind dann diese Menschen auch radikal im Wesen und Denken?

Wie sind politische Positionen hinsichtlich einer Radikalität zu werten, die aufgrund ihrer Gesinnung und Klientelorientierung neue Schwerpunkte setzen und  zu neuen Gesetzen kommen, wenn diese – wie bei den Themen „Rentenreform“ oder „Bürgergeld-Absetzung“ oder Ablehnung einer „Erbschaftsreform und Vermögenssteuereinführung“ – klar privilegierte Gesellschaftsschichten bevorteilen und die von Armut bedrohten Gesellschaftsteile ignorieren respektive benachteiligen? Sind nicht diese alltäglichen Veränderungen mit verheerender Auswirkung auch eine – wenn auch in eher verbrämten Form – praktizierte destruktive Radikalität?

Wann ist eine Handlung radikal? Im weiteren Umfeld entfernter Bekannten wurde letztlich ein Familienvater beerdigt. Er arbeitete in der Kranken- und Altenpflege. Er hinterließ seine Frau und die gemeinsamen Kinder im Alter von fünf und sechs Jahren. Zur Patchwork-Familie gehören noch zwei Jugendliche im Alter von 17 Jahren. Jeweils ein Junge von Vater und Mutter aus einer vorherigen Verbindung mit in die Familie gebracht. Der in der Pflege tätige Ehemann und Vater hatte sein Leben Anfang des Monats durch Selbstmord beendet. 

Ist Selbsttötung nicht eine besonders tragische und zugleich feige Radikalität nicht nur sich selber gegenüber, sondern vor allem gegenüber den zurückgelassenen Kindern und Familienmitgliedern? Welche Gefühle haben ihn dazu getrieben? War es Verzweiflung, Hoffnungslosigkeit, Egoismus und Feigheit, Ausweglosigkeit? Wo wurde und wer hat die Selbst- und Fremdgefährdung nicht erkannt? Vielleicht verschwiegen, weggeschaut, verdrängt?

Wie wird Radikalität von der Wissenschaft beschrieben? Welchen Stellenwert hat sie auf der Empfindungsskala? Wo wird Radikalität in der moralisch-ethischen Wertung verortet? Wann wird sie als reizvoll empfunden und als Bindeglied oder Lückenschließung zwischen Theorie und Praxis deklariert?

Diesem thematisch weiten Feld widmet sich die Autorin Mirjam Schaub in ihrem zweibändigen Werk.

Band1: „Radikalität und der Riss zwischen Theorie und Praxis.   Eine unerhörte Kulturphilosophie. Antiker Aktivismus, frühchristliche Militanz, venezianischer Maskengebrauch (399 v. Chr. – 1797 n. Chr.)

Band2:  Radikalität und der Mut zum Gebrauch des eigenen Lebens. Eine unheimliche Populärkultur. Auto-Ikonifizierung, Spaßguerilla, Sitzperformances, Krypto-Kunst. 1832-heute.“

So lautet der Einführungstext zum ersten des zweibändigen Werkes der Professorin Dr. Mirjam Schaub:

  1. Schillernd und fremd, lässt sich Radikalität zu allen Zeiten und in allen Kulturen mit ihrem Hang zum Unbedingten beobachten. Fast immer wirkt sie anstößig und beschämend, wenn auch in Philosophie und Kunst seltener als in Religion, Politik, Gesellschaft. Attraktiv bleibt sie, weil sie etwas Essentielles verspricht: die Schließung des mitunter feinen Risses zwischen Theorie und Praxis, als Versprechen der eigenen Unerpressbarkeit.

Diesem Riss und seinen unerhörten Auswirkungen geht der erste Band von Mirjam Schaubs großem kulturphilosophischem Entwurf nach. Das Buch entführt in die griechische Antike, als ein Theoretiker noch ein fahrender Kulturbotschafter im Mittelmeerraum und eben kein Philosoph ist. Es fragt nach dem Selbstmord des Sokrates und warum dessen Radikalität zugleich eine Wunde schlägt, die Aristoteles meint heilen zu müssen. Um Nachahmung zu unterbinden und zugleich der Philosophie eine Zukunft zu eröffnen, erfindet Aristoteles die Theorie-Praxis-Lücke, indem er Idee und Tat ein Stück weit auseinanderrückt. Diogenes von Sinope aber rebelliert mit drastischen Mitteln gegen diesen heilsamen Schachzug. Er stiftet soziale Unruhe, sorgt für helle Empörung, indem er hedonistische wie asketische Praktiken in aller Öffentlichkeit propagiert. …

Und zum zweiten Band:

  1. Der zweite Band von Mirjam Schaubs großer kulturphilosophischer Untersuchung bricht mit der Vorstellung, Populärkultur und Radikalität seien Gegensätze. Spätestens mit Jeremy Benthams ›Auto-Icon‹ (1832), dem humanoiden Artefakt, das bis heute im University College of London sitzt, später bei Max Stirner, der Bewegung um 1968 und bei Marina Abramović verbinden sich Radikalität und Populärkultur und stiften eine radikal neue Form von Egalität.

….

Das Buch verfolgt den unbedingten Selbstgebrauch in Politik, Kunst und Populärkultur von der Stadtguerilla über radikale Kunstprojekte bis hin zu NFTs, Hackern wie dem Anonymous-Kollektiv und den Aktivistinnen und Aktivisten der »Letzten Generation«. …

Radikalität erweist sich in der künstlichen Herstellung von Gleichheit unter Ungleichen – ungleich an Talenten, Chancen, Mitteln – als wirksames soziales Korrektiv.

So manche Antworten auf die vielfältigen Fragen sind in den beiden Bänden zu finden!

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