Johannes von Heinsberg – Bildsprache – Wortsprache

Fotografie und Philosophie – Sehen und Erkennen

Das Böse und die Boshaftigkeit – banal oder komplex?

Eine Blüte (Dahlie) im unschuldigen Betrachtungsmodus

Im Gegensatz zum oben gezeigten Foto steht das Szenenbild aus dem Film „Zone of Interest“ – in der die Schauspielerin Sandra Hüller als Hedwig Höß (im Film als Ehefrau des Auschwitz-Kommandanten Rudolf Höß) ihrem Kind eine Blüte zeigt und das Kleinkind die Blume anfassen lässt – im Betrachtungskontext des Holocaust und macht einen unfassbaren Kontrast sichtbar. Anscheinend und vordergründig wird eine Idylle „glücklichen“ Familien-Lebens gezeigt. Allerdings geschieht diese Szene – nur durch eine Mauer getrennt – neben dem KZ Auschwitz und den dort vorkommenden täglichen und grauenvollen Taten des Holocausts. Dass auf der einen Seite der Mauer im KZ Rudolf Höß mordet, als würde er unbewusst und automatisch einen Atemzug machen, auf der anderen Seite der Mauer bei Frau und Kind ein „heiles Familienleben“ führen, das zeigt das schizophrene Verhalten eines Täters, welches Hannah Arendt als „Abwesenheit des Denkens und der Verantwortlichkeit für Menschenfreundlichkeit“ bezeichnete und ihren Begriff der „Banalität des Bösen“ dafür formulierte.

Das Böse, ein Begriff moralischer Normen, aber auch Bezeichnung für Verhalten, hat die Menschen seit ihrer Menschwerdung begleitet. Es manifestiert sich in Handlungen, die monströs, maßlos, grenzüberschreitend und existenzgefährdend oder existenzauslöschend sind. Schriftliche Zeugnisse gibt es seit Jahrhunderten darüber. Ob es die Folterungen der Inquisition sind, die Hexenverbrennungen, die Pogrome während der letzten 2000 Jahre oder der Holocaust der Nazis mit ihren KZs und den Bestien wie der Arzt Mengele, über die vielen Beteiligten aus der Armee oder den Mörderbanden der SS bis hin zu den Schreibtischtätern á la Eichmann. In der jüngsten Vergangenheit gehören der Massenmord durch Anders Brevik und die vielen Terroraktionen des IS und der Hamas ebenso dazu. Beispiele finden wir in der Geschichte der Menschheit zuhauf. Sie werden von anderen Menschen oft als wahnsinnige Tat bezeichnet, um eine Erklärung dafür zu haben, was an Unmenschlichem geschehen war. 

An den genannten Beispielen wird nachvollziehbar, dass es berechtigt ist, diese Taten als böse zu bezeichnen. Wenn von grenzüberschreitend und existenzauslöschend oder von monströs gesprochen wird, dann sind dies Zuordnungen auch in eine moralische Norm gefasst, die eine ungefähre Ahnung davon geben, welche unselige Tiefe sie in der Komplexität des Bösen haben. Wo aber sind die Orientierungen dafür, wo das Böse anfängt? Sind die Mitarbeiter der Waffenhersteller schon dazu zu zählen? Denn sie werden wissen, dass die Pistolen, Maschinengewehre, Schnellfeuerwaffen, Granaten, Mienen, Mörser, Panzer, Bomben und ferngelenkte Drohnen Menschen töten werden! Sind sie mit ihrer Beteiligung an der Produktion schon als Elemente des Bösen einzuordnen? Und betrifft dies auch die Anleger, die ihr Vermögen in diese Firmen durch Aktienkäufe investieren? Und gilt dies auch für Unternehmens-Mitarbeiter beim Einkauf der Textilien, die unter unmenschlichen Umständen und ohne Schutz vor Giften in den Herstellerländern von Bangladesch bis China hergestellt werden, dass sie ebenso mitverantwortlich sind für das Sterben der Menschen dort?  Oder sind sie als Lohnempfänger, die ihre Familien mit dieser Arbeit ernähren, von der Mitverantwortung freigestellt? Sind dann nur die Manager und die Unternehmensführungen der Waffenschmieden sowie der Textil- und Bekleidungsketten und Pharmabetriebe die Bösen?

Hannah Arndt hat den Begriff von der „Banalität des Bösen“ geprägt, also die Zuordnung jener Taten der Schreibtischtäter wie die des Adolf Eichmann, der nicht spektakulär mit Vergasung, Erschießung und direkter Einwirkung getötet hatte, aber durch seine schriftlichen Befehle und planmäßige Verwaltung die Tötung von Millionen Menschen in Auftrag gab und damit zum Inbegriff des Bösen wurde. Werden damit auch die unternehmerischen und politischen Entscheidungen, die getroffen werden, obwohl wissend, dass diese zur Verarmung, zur Existenzvernichtung, zur Freiheitseinschränkung führen zu Mittätern im Komplex des Bösen, zwar als Einzelelement sowie banal und alltäglich in der Ausführung, aber eben doch als Bestandteil des Systems des Bösen?

In allen Menschen, die sich als Mitläufer hinter den vielen möglichen Entschuldigungen verstecken, steckt das Potenzial des Bösen. Der Schritt zur Mittäterschaft ist kürzer als gedacht. In dieser jederzeit möglichen Mittäterschaft zeigt sich die „Banalität des Bösen“ nach Hannah Arndt auch als „das größte begangene Böse, dass von Menschen wie Händewaschen begangen werden, wenn sie sich weigern, Verantwortung zu übernehmen oder Mitmenschlichkeit zu praktizieren.“ Jeder Verzicht oder das Verdrängen  auf Recht und Unrecht sich zu besinnen, ist Teil des Bösen. Wer kein Gewissen hat, wer das Gedächtnis verdrängt und ausschaltet, wer kein Mitgefühl hat, der paktiert mit dem Bösen und  zum Baustein des Bösen!  Tötung und Mord, sowie seine vielen Vorstufen und Formen von Gewalt und deren Folgen, sind Ausdruck des Bösen. Unmenschlich sein, in diesem Verhalten spiegelt sich der Kern des Bösen. Das Nichtböse äußert sich darin, menschlich zu sein. Miteinander in empathischer, mitfühlender Art in Beziehung zu treten. Verantwortung für sich und den Mitmenschen zu haben. Das geschieht durch menschenfreundliche Kommunikation und Beachtung des eigenen wie fremden Tuns.

Philosophen wie Thomas von Aquin haben Ethik in Normen gegossen, um Handlungsgrenzen und Handlungsanleitungen zu geben, damit das Böse nicht den Alltag dominiert. Sein Ansatz war ein Katalog, in dem böses Verhalten benannt wurde, welche vermieden werden sollte. In der christlichen Lehre wurden Zorn, Trägheit, Neid, Hochmut, Geiz, Völlerei und sexuelle Wollust als Todsünden bezeichnet, die es zu vermeiden galt. Heute werden Persönlichkeitsstörungen, affektive Störungen und Suchtkrankheiten als Psychopathologien international in dem ICD –Kategoriensystem klassifiziert. Das Böse wird zur Krankheit.

Die Verantwortung des eigenen Handelns darf aber nicht in Vergessenheit geraten. Und die Verursacher des Bösen dürfen nicht ungestraft bleiben. Das Milgram-Experiment muss als Mahnung für die Eigenverantwortlichkeit im Gedächtnis bleiben. Dann ist es zwingend selbstredend, dass  den Brandstiftern á la Höcke und rechte AfDler klare Grenzen aufgezeigt werden müssen. (Ob dies bei Donald Trump noch der US-Gesellschaft gelingen wird, steht in den Sternen!)

Wir brauchen kein Heldengedenken. Geht denken, ihr „Heldenverehrer“!

 

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