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Fotografie und Philosophie – Sehen und Erkennen

Die „Banalität des Bösen“ scheint auch heute noch weiter zu existieren

Es mag den Lesern vielleicht nicht legitim erscheinen, wenn ein Vergleich von Adolf Eichmann mit heute agierenden Menschen in Machtpositionen vorgenommen wird. Und dennoch sind gerade die Analyse und der Essay von Hannah Arendt „Eichmann in Jerusalem – Ein Bericht von der Banalität des Bösen“ dafür Zeugnis genug! Mit einem weiteren Buch „Was heißt persönliche Verantwortung in einer Diktatur?“ äußerte sich Hannah Arendt zu einem Thema, das bis heute für bestimmte Gesellschaften (Türkei, Ungarn, Polen, Russland und nicht zuletzt die USA unter Trump) zutrifft, wenn auch in graduellen Abstufungen, jedoch im Kern vergleichbar. Vor allem vergleichbar ist das bei allen Versuchen erkennbare Ziel, die Gesellschaft zu spalten. Propagandistische Lügen (Trump und seine unbewiesene Behauptung des Wahlbetrugs) zielen auf eine „Gleichschaltung der Anhängerschaft“. Auch in der Nazi-Terrorherrschaft Hitlers ging die Spaltung durch Familie, Freundes- und Kollegenkreise,  wie es ebenso Trump geschafft hat. Hannah Arendt spricht in diesem Zusammenhang nicht nur vom Scheitern der persönlichen Verantwortung, sondern vor allem vom Zusammenbruch des persönlichen Urteilsvermögens und der Zerstörung der moralisch-ethischen Grundsätze.

Arendt fragt: „Was geschieht mit der menschlichen Urteilskraft, wenn sie auf Ereignisse trifft, die den Zusammenbruch aller gewohnten Werte vorexerzieren, auf Ereignisse also, die gewissermaßen in den allgemeinen Regeln nicht vorgesehen sind – nicht einmal als Ausnahme von diesen Regeln?“ Daraus resultiert die Frage nach dem eigenen Verhalten innerhalb einer „Blase“ wie die des rechten Flügels in der AfD oder der Trump-Fanatiker innerhalb der US-Republikaner: „Wie kann ich Recht von Unrecht unterscheiden, wenn die Mehrheit oder meine gesamte Umgebung die Frage schon vorentschieden hat?“

Genau diese Fragen sind es, die auch für Adenauers Regierungszeit beantwortet werden müssen und mit denen Arendt sich thematisch beschäftigte. Während sie eine Kollektivschuld ablehnte, betonte sie die Schuldfähigkeit jeden Einzelnen. Sie lehnte die Berufung auf das Argument ab, „nur ein kleines Rädchen im Getriebe“ gewesen zu sein. Auch der Versuch, sich auf „Gehorsamkeit“ und „Befehlsunterwerfung“ zu berufen, erteilte sie eine Absage. Gehorsamkeit (muss heute als Gesinnung interpretiert werden) sei, so Arendt, in Wahrheit immer Zustimmung. „Der Grund also, warum wir diese Verbrecher, die erwachsene Menschen waren, dennoch für das, was sie taten, verantwortlich machen, liegt darin, dass es in politischen und moralischen Angelegenheiten so etwas wie Gehorsam nicht gibt!“

Dies ist der Maßstab, der auch heute auf die Menschen angewendet werden kann, die z.B. das Kapitol in den USA erstürmten oder die aufgrund der Anstachelung der Redner aus dem rechten Umfeld der AfD und der Rechtsnationalisten die  Brandsätze auf Synagogen oder Flüchtlingsheime warfen und randalierend durch die Straßen zogen.

Arendt versuchte also vor allen Dingen die furchtbare Tatsache in einen beschreibbaren Zusammenhang einordnen zu können, dass diejenigen, die als „große und kleine Rädchen“ in der nationalsozialistischen Mordmaschinerie des Holocaust tätig waren, oftmals jegliches Gewissen und letztlich jede Menschlichkeit verloren hatten und bis zuletzt keinerlei Einsicht in das Verbrecherische ihrer Taten zeigten.

Am ehesten kommt dieses Verhalten vor das fragende Auge, wenn die Filmaufnahmen zum Alltag und zum Familienleben des SS-Personals in Auschwitz und Birkenau betrachtet werden. Und all dies geschah in einem „gesetzlichen Rahmen“, wenn auch dieser kein Rechtsstaat im heutigen Sinne war. Dazu sind die Filmausschnitte aus den Gerichtsverhandlungen zu den Widerständler des 20. Juli 1944 und zur „Weißen Rose“  mit Roland Freisler (Präsident des berüchtigten Volksgerichtshofes, der höchsten juristischen Instanz des NS-Regimes für politische Strafsachen) und seiner Willkür in den Schauprozessen dieser Unrechtsjustiz Beleg genug.

In diesem Licht muss auch Adenauers Entscheidung, die Fachleute (Richter, Ärzte, Lehrer, Polizei, Verwaltungsfachkräfte bis hin zu Globke als „rechte Hand“ und Kanzleramtsminister) aus diesem Dunstkreis wieder in Amt und Macht zu hieven, unbedingt neu bewertet werden. Die Folgen sind unter anderem auch an der Arbeit des hessischen Generalstaatsanwalts Fritz Bauer nachvollziehbar. Das Denken und die Gesinnung des Faschismus wurden in den Alltag der jungen Bundesrepublik transformiert. Hierin scheinen die Ursachen für den heutigen Antisemitismus, für die gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit und die Affinität größerer Teil der Gesellschaft zum Rechtsradikalismus und Rassismus zu liegen.

Version vom 03. Febr. 2021

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