Johannes von Heinsberg – Bildsprache – Wortsprache

Fotografie und Philosophie – Sehen und Erkennen

Alltagsschnipsel IV – Samstag Morgen in der Kreis-Stadt

Augen in der (Groß)-Stadt

  • Wenn du zur Arbeit gehst
  • am frühen Morgen,
  • wenn du am Bahnhof stehst
  • mit deinen Sorgen:
  • da zeigt die Stadt
  • dir asphaltglatt
  • im Menschentrichter
  • Millionen Gesichter:
  • Zwei fremde Augen, ein kurzer Blick,
  • die Braue, Pupillen, die Lider –
  • Was war das? vielleicht dein Lebensglück . . .
  • vorbei, verweht, nie wieder.
  •  
  • Du gehst dein Leben lang
  • auf tausend Straßen;
  • du siehst auf deinem Gang,
  • die dich vergaßen.
  • Ein Auge winkt,
  • die Seele klingt;
  • du hasts gefunden,
  • nur für Sekunden . . .
  • Zwei fremde Augen, ein kurzer Blick,
  • die Braue, Pupillen, die Lider;
  • Was war das? kein Mensch dreht die Zeit zurück …
  • Vorbei, verweht, nie wieder.
  •  
  • Du mußt auf deinem Gang
  • durch Städte wandern;
  • siehst einen Pulsschlag lang
  • den fremden Andern.
  • Es kann ein Feind sein,
  • es kann ein Freund sein,
  • es kann im Kampfe dein
  • Genosse sein.
  • Es sieht hinüber
  • und zieht vorüber . . .
  • Zwei fremde Augen, ein kurzer Blick,
  • die Braue, Pupillen, die Lider.
  • Was war das?
  • Von der großen Menschheit ein Stück!
  • Vorbei, verweht, nie wieder.

Kurt Tucholsky

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