Johannes von Heinsberg – Bildsprache – Wortsprache

Fotografie und Philosophie – Sehen und Erkennen

Können Erzählungen, Gespräche und Literatur zu mehr Freiheit und Demokratie verhelfen?

Wer kennt von der Altersgruppe der 15-30 Jährigen noch die Nachkriegsliteratur zur Aufarbeitung der Nazi- und Kriegszeit? Da wäre aus dem umfangreichen Kanon exemplarisch zu benennen:

Siegfried Lenz „Deutschstunde“, ein Roman, der von dem Dilemma des bedingungslosen Gehorsams gegenüber dem Nazi-Staat und
seinen Schergen (SD, Gestapo, SS) handelt, in der Freundschaft hinter und unter die formalen Gesetzgebungen der Nazis gestellt wird, weil in dem Terrorstaat das Weltbild der Diktatur gnadenlos durchgesetzt wird, egal ob das Handeln Unterdrückung, Vernichtung oder Zerstörung bedeutet und die Menschen bis in die nachfolgende Generation daran zerbrechen. Hitlers Nazi-Reich steht nur exemplarisch, strukturell sind die DDR-Diktatur (Stasi und SED) oder Putins Russland vergleichbar. 

Heinrich Böll „Wanderer, kommst du nach Spa…“ und „Haus ohne Hüter“ sind Werke, die die Schrecken des 2ten Weltkrieges aufgreifen, die Sinnlosigkeit jeden Eroberungs- und Angriffskrieges nachvollziehbar machen und die Folgen für die Nachkriegszeit beschreiben. Auch wenn die 50er Jahre der Adenauer-Kanzlerschaft – gerade auch durch dessen Entscheidung, zur Funktionsfähigkeit des Staates die alten Funktionsträger aus der Nazi-Zeit wieder zu nutzen, egal welche Verbrechen sie begangen hatten und somit das Weltbild der Nazi-Zeit munter fortwirken konnte – gab es mit Böll, Lenz oder Hochhuth („Der Stellvertreter“) Autoren, die kritisch die bis heute nachwirkenden Versäumnisse der Aufarbeitung der Verbrechen aus den Untiefen der Nazi- Ideologie aufgriffen und vor allem aus der Gemengelage von alten Nazis in einflussreichen Positionen der Politik, Verwaltung, Justiz, Militärs und begünstigte Unternehmer aufgriffen und nachvollziehbar machten. 

In „Haus ohne Hüter“ wird von Böll das Schicksal – man könnte auch sagen, die logische Konsequenz des Todes der Soldaten – der Väter zweier Jugendlichen aufgegriffen, die im Krieg „gefallen“ sind. (Welche Verniedlichung der dafür gebrauchte propagandistische Begriff der Verantwortlichen Deutung platzieren will! Wie wirksam diese Verharmlosung jedoch bei den betroffenen Familien ist und bis heute bei den Menschen aus Russland noch keine Wende in ihrem vergifteten Denken bewirkte, dass dieses Verrecken ehrenvoll sei, das zeigen immer wieder auch die Bildberichte über den russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine!)

Böll zeigt aber auch auf, dass die „Unfähigkeit zu trauern“ (Mitscherlich) sich gerade darin zeigt, dass die Mütter der Jugendlichen in „Haus ohne Hüter“ gleichgültig bleiben in Sachen Aufarbeitung Nazizeit, selbst als eine der Mütter mit dem Offizier, der für den Tod ihres Mannes und Vaters ihres jugendlichen Sohnes verantwortlich war, eine Beziehung eingeht. Dieses moralische Versagen der Überlebenden, aber auch der alleinerziehenden Mütter wirkt ebenso nach, wie der „Muff“ der Verdrängung der Mitverantwortung für die 12 Jahre unsäglicher Verbrechen. Dass auch die Kirchen teilweise Mitverantwortung tragen und in der Nachkriegszeit keine zukunftsgerichtete Perspektiven entwickelten, das griff Rolf Hochhuth in seinem Werk „Der Stellvertreter“ auf und ist nicht zuletzt am Vertrauensverlust zu den Kirchen, insbesondere  ihren Skandalen um die Missbrauchsfälle sowie an den folgenden bis heute steigenden Austrittszahlen bei den Kirchen zu beobachten. 

Max Frisch betont die Fehlentwicklung der Identität, vor allem durch die Orientierung an den Handlungen, die des eigenen materiellen Vorteil willens zu agieren betrifft. In „Herr Biedermann und die Brandstifter“ steht die Verbrüderung mit falschen Freunden, die strafbewehrte Verbrechen begehen, im Mittelpunkt der menschlichen Fehlentscheidungen. Dass in den unsäglichen TV-Formaten – die das negative Handeln (Mobbing, jedes Mittel nutzend für eigene Vorteile, Hass schürend, Lügen verbreitend, nur auf Äußerlichkeiten achtend) zum zentralen Agieren machen – gerade das negative Vorbild zum Tragen kommt und jegliche  Solidarität und Empathie vermissen lässt, ist ein weiterer Grund dafür, was den feststellbaren und Leid provozierenden Umgang der Menschen betrifft.

Die Reihe der literarischen Werke, die für ein anderes Weltbild stehen, greifen auch Günter Grass mit „Blechtrommel“ (Oskar  Matzerath als symbolische Figur des Widerstands), Jurek Becker mit „Jakob der Lügner“ (als Erzählung über das Leben in einem KZ und der faschistischen Judenverfolgung und den Holocaust), Erich Loest mit „Jungen, die übrigblieben“ (Wie im Film „Die Brücke“ wird auch hier das Thema des Verheizens jugendlicher Soldaten aus ideologischer Verblendung behandelt) oder Alfred Andersch mit „Die Kirschen der Freiheit“ auf. Andersch schreibt über die Desertation als Ausdruck der Erkenntnis über die Sinnlosigkeit des Krieges und eine Form des Widerstands. Hier wird die Aktualität desertierender russischer Soldaten im Ukrainekrieg vorweggenommen. 

Ein Bildungskanon, der weder in den TV-Beiträgen mit den literarischen Verfilmungen angeboten wird, wie das in den 1980er Jahren üblich war, noch in die Lebenswirklichkeit der nachfolgenden Generationen und Jugend integriert wird als ethisch-moralisches Angebot und Alternative zu nationalistisch-faschistischen Weltbilder á la AfD. 

Sicherlich bleibt die Frage, die sich auch der Autor Peter Weiß stellte und zum Ausdruck brachte mit:

„Wer braucht meine (literarische) Arbeit, und kann mein Schreiben helfen, die Erde bewohnbarer zu machen?“ 

Trotz der in dieser Aussage liegenden Hinterfragung kreiste auch die Arbeit „Die Ermittlung“ von Peter Weiß um das Thema der Aufarbeitung der Mitverantwortung und Mittäterschaft der Deutschen im sogenannten „Dritten Reich“. Den viel zu späten Frankfurter Prozess (erst 1964!) gegen die Wachmannschaft des KZ Auschwitz verarbeitet er mit „Zeugenaussagen, Protokolle, Akten und Briefe“ und steht damit in einer Tradition mit Hannah Arendts „Bericht über den Eichmann-Prozess“ in Jerusalem. Weiß betont die Versäumnisse der Adenauer-Regierungszeiten, in der ermöglicht wurde, dass die Justiz der Nachkriegszeit durch die ehemaligen Nazi-Justizvertreter das Ziel, alles „unter den Teppich zu kehren“, erreichte und was die juristische Aufarbeitung der Nazi- Mittäterschaft über Jahre verhinderte. 

Für wenige Jahre (vom Ende der 1960er bis 1982) mag die Frage, ob Kultur (Literatur, Gesprächskreise, TV-Literatur-Verfilmungen) zur Stärkung der Demokratie und der Freiheit betragen können, bejaht werden. Mit der Privatisierung des TV-Bereichs sind Klamauk, Oberflächlichkeit und Pseudo-Wettbewerb körperbetonter Partnerversuche mit sexuellem Voyeurismus und Selbstausbeutung  an die Stelle des respektvollen Umgangs miteinander getreten. 

Realität war auch in den ersten beiden Jahrzehnten nach der Nazi-Terror-Zeit, dass in den Familien so gut wie nicht über diese Zeit gesprochen wurde. Das wiederholte sich ebenso im familiären wie im Freundes-Kreis nach dem Ende des DDR-Systems mit dem Unrechtssystem durch die Stasi und dem SED-Partei-System. 

Zudem erfolgt mehr als dreißig Jahre nach dem Ende der DDR eine nostalgische Verklärung des autoritären Unrechtssystems mit der Wirkung, dass wiederum Parteien und Personen, die für autoritäres, ausgrenzendes und menschenfeindliches Handeln stehen, als „Heilsbringer“ für die aktuellen Probleme eingestuft werden. Der unsägliche „scheinbare Wahlerfolg der AfD“ steht dafür als Beispiel. 

Das Bewusstsein als Fähigkeit zum unabhängigen und vorurteilsfreien Erkennen von Zusammenhängen geht anscheinend bei einem größeren Teil der Menschen in Deutschland verloren. Stattdessen wird einer demokratieablehnenden und manipulierenden Ideologie der rechtsradikalen und faschistischen Weltsicht gefolgt, und Gesinnung an die Stelle der verantwortlichen Vernunft gesetzt. 

Was bleibt zusammenfassend zu schreiben?

Neben den vorhandenen Definitionen und Beschreibungen, was seit jeher die rechtsextremen Parteien wie die AfD oder in den dreißiger Jahren die NSDAP praktizieren und welche Ziele sie haben – bleibt nicht vergessen zu betonen, dass die demokratischen Parteien ihrer Verantwortung aktuell zeitweise nicht gerecht werden. Ein unbestraftes Verhalten für ein strafbewehrtes Handeln á la Andreas Scheuer (CSU) wirkt extrem befeuernd auf den Verlust des Vertrauens der Bevölkerung in die Regierung.

 

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