Noam Chomsky, ein weltweit beachteter Linguist und Sprachwissenschaftler, ist einer der bedeutendsten Kritiker der US-Außenpolitik, der politischen Weltordnung und der Macht der Massenmedien.
Um zu verstehen, warum seit Jahrzehnten dieselben Krisen – der wachsenden Gefahr eines Atomkrieges, der immer deutlicher sich auswirkenden Umweltkatastrophe sowie der Verfall der Demokratien weltweit – bestehen, sind die Analysen Chomskys hilfreich für die aktuellen Diskurse.
Noam Chomsky beschreibt schon 2023 den Zustand der Welt als den gefährlichsten Punkt, an dem die Menschheit sich seit jeher befinde. Nationalismus, Rassismus und Extremismus würden sich heute überall auf der Welt wieder erheben. In einem Interview mit dem Politikwissenschaftler C.J. Polychroniou erläutert er seine Sichtweise.
Im Ersten Teil seines Interviews beschreibt Chomsky die Gefahrenquellen für Demokratie und Freiheit durch einzelne Menschen, die sich Macht verschaffen und weltweit die sozialen Systeme und Ordnung attackieren. (Von Putin, Orban über Erdogan, Kalifate bis zu Trump – von Russland, Ungarn, Türkei, Irak, Iran, Nordkorea, China bis zu den Republikanern in den USA)
Im zweiten Teil skizziert Chomsky zudem den Verfall der Republikaner (unter Donald Trumps Einfluss) von einer konservativen Partei unter Dwight Eisenhower hin zur rechtspopulistisch-antidemokratischen Partei mit tyrannischem unterdrückendem Charakter.
Trump – trotz gerichtlicher Verurteilung – macht er Wahlkampf in den USA für seine Wiederwahl, die seine Aggressivität und gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit deutlich machen. In seiner ersten Amtszeit als Präsident (2017-2021) machte Trump den Supreme Court (US Oberster Gerichtshof) mit seiner Besetzung der 6 von 9 lebenslang wirkenden Richter zu einer reaktionären Institution. (Ergänzung vom 27.06.2024: Das neueste Urteil ist ein Skandal! Ein Gesetz gegen Korruption wurde vom Supreme Court rückgängig gemacht. Korruption ist demnach nicht mehr strafbar! Unfassbar! Das Trump-Agieren zeigt Wirkung: die Demokratie in den USA ist in vielen Teilen extrem beschädigt.)
Chomsky formuliert in seinem Interview: „Der Oberste Gerichtshof ist traditionell eine reaktionäre Institution. Das ist vor allem der Hinterhältigkeit und dem betrügerischen Vorgehen der führenden antidemokratischen Person bei den Republikanern zu verdanken!“ (Quelle: Telepolis – Illegitime Herrschaft in den USA)
„Tatsächlich wurden diese erst kürzlich in der Rechtswissenschaft durch die wichtige Arbeit von Paul Finkelman aufgedeckt, der die erste systematische Studie über Marshalls Entscheidungen zu einem zentralen Element der amerikanischen Geschichte durchgeführt hat: die Sklaverei, die wahrscheinlich aus den Geschichtslehrplänen gestrichen werden wird, wenn die Republikaner wieder an die Macht kommen und ihre totalitären Initiativen umsetzen können, um zu bestimmen, was in den Schulen nicht gelehrt werden darf“.
Chomsky zitierte Eisenhower, den nach seiner Meinung letzten Konservativen, der gesagte habe:
„…sollte irgendeine politische Partei versuchen, die Sozialversicherung und die Arbeitslosenversicherung abzuschaffen und die Arbeitsgesetze und Landwirtschaftsprogramme zu streichen, würde man von dieser Partei in unserer politischen Geschichte nichts mehr hören. Natürlich gibt es eine winzige Splittergruppe, die glaubt, dass man diese Dinge tun kann. . . . [Aber] ihre Zahl ist verschwindend gering und sie sind dumm.“
„Eisenhowers Vorhersage war falsch. Die „Splittergruppe“ – die leider weit davon entfernt war eine Splittergruppe zu sein – wartete nicht nur in den Startlöchern. Sie nagte an den Maßnahmen, die der Bevölkerung dienten, und das oft mit Erfolg.“
„Eisenhowers Haltung veranschaulicht, wie weit seine Partei [die Republikaner] in den letzten Jahren gesunken ist und inzwischen den Begriff „Konservatismus“ diffamiert.
Ein aktuelles Beispiel für das Abdriften der Partei nach rechts ist ihre Liebesaffäre mit der rassistischen „illiberalen Demokratie“ von Viktor Orbáns Ungarn. Diese Liebesaffäre beschränkt sich nicht nur auf Tucker Carlson und Co., sondern geht weit darüber hinaus. So trifft sich beispielsweise die American Conservative Union im Juni in Budapest, um einen europäischen Führer zu feiern, der beschuldigt wird, die Demokratie und die Rechte des Einzelnen zu untergraben. Die Anschuldigung trifft zu, aber Orbán betrachtet es als Lob, nicht als Beschuldigung, und die „Konservativen“ scheinen dem zuzustimmen.“
Chomsky bewertet die Republikaner unter Trump als Zerstörer der Demokratie! Er verortet die Gesinnung der Republikaner auch als: „… neoliberaler Angriff auf die Arbeiter und Mittelschicht!“
„Reagan öffnete die Türen für diejenigen, die Eisenhower bitterlich verurteilt hatte, und leitete damit den neoliberalen Angriff auf die breite Bevölkerung der letzten 40 Jahre ein, der immer noch in vollem Gange ist.“
Was Reagan für die USA, war Thatcher für die Großbritannien und Kohl (später auch Merkel) mit seiner „geistig-moralischen Wende“. Dass Parteien wie die SPD (unter Gerhard Schröder und die Agenda 2010) keine wirkliche Unterbrechung der Schwächung des Sozialstaates war, darf mittlerweile als bekannt vorausgesetzt werden. Das ist genauso zutreffend, wie die neoliberale Verbohrtheit der Lindner-FDP in der heutigen Ampelkoalition, die nichts anderes darstellt, als die Fortführung der Umverteilung von den sozial benachteiligten Gesellschaftsteilen und dem hochbelasteten Mittelstand hin zu den reichsten oberen 10 Prozent. Die FDP-Blockade der notwendigen staatlichen Investitionen für die Infrastruktur, die FDP-Blockade des Abbaus der Privatisierungswellen mit ihrem System von „Gewinne privatisieren – Verluste sozialisieren“ , aber stattdessen Einsparungen bei der sozialen Daseinsfürsorge zu fordern, macht die Rolle der FDP-Kleinstpartei besonders deutlich.
Dass auch der BlackRock-Adept als Neoliberalist und CDU-Vorsitzender, Friedrich Merz, ins gleiche Horn pustet, müsste jedem der potenziellen CDU-Wähler und Zustimmenden (aktuell 31 Prozent!) mehr als zu denken geben.
Die aktuellen Entwicklungen in Deutschland und der EU werden verständlicher, wenn Chomskys Analyse der US-Gesellschaft mit der beobachtbaren gesellschaftlichen Spaltung als Merkmale zur Verortung der eigenen und EU-Gesellschaft angewandt werden.
„Die Studie der Rand Corporation, zeigt, dass diese Programme in 40 Jahren fast 50 Billionen Dollar von den Mittelschichten und der Arbeiterklasse zu den Superreichen „transferiert“ haben – eine ziemlich beeindruckende Leistung politischen Diebstahls.“
„All das spielt sich vor unseren Augen ab, ganz offen. Die Republikaner, die GOP, im Kongress gehorchen Gewehr bei Fuß den Befehlen McConnells [… und heute den Anweisungen Trumps!] GOP = Grand Old Party (GOP)
„In der Zwischenzeit hat die GOP-Führung ihre roten Linien festgelegt: (1) die Steuerbehörde IRS zu streichen, damit sie sich nicht in den massiven Steuerbetrug der wichtigsten GOP-Wählerschaft, der sehr Reichen, einmischen kann; (2) die einzige gesetzgeberische Errungenschaft der Trump-Jahre nicht anzutasten, das, was Joseph Stiglitz als „Gesetz zur Entlastung der Parteispender von 2017“ bezeichnet hat, ein großformatiges Geschenk an die sehr Reichen und den Unternehmenssektor, das allen anderen in den Rücken fällt.“
„Dieses Reichengeschenk schadet auch den eigenen Wählern der Rechten, die die GOP seit Nixon mühsam bei der Stange hält, indem sie die Aufmerksamkeit von ihren eigentlichen Programmen auf „kulturelle Themen“ lenkt, die christliche Nationalisten, weiße Rassisten, Evangelikale, begeisterte Waffenliebhaber und Teile der Arbeiterklasse ansprechen, die [als Betroffene] von neoliberalen Programmen verwüstet und von den Demokraten lange im Stich gelassen wurden.“
Chomsky geht in einem weiteren Teil seiner Analyse auf die Entstehung der heute allumfassenden und bestimmenden Gesinnung des Neoliberalismus ein. Dass auch die Gesinnung des Neoliberalismus zur Akzeptanz des Faschismus und der rechtsextremistischen Parteien weltweit auch heute geführt hat, kann im Hinweis auf historisch belegbarer Entwicklungen in den 20ger bis 40ger Jahre des 20.Jahrhunderts mit den leidvollen Erfahrungen von Holocaust und des 2.Weltkriegs (WWII) belegt werden ! Gelernt haben allem Anschein nach die Gesellschaften in den letzten 80 Jahren nichts. Vor allem aber ist es den Superreichen völlig egal, was mit dem Rest der Bevölkerung geschieht angesichts der drängenden Probleme von Klimakatastrophe, Kriegen und unheilvollen Allianzen der diktatorischen Terrorsysteme. Dass in Deutschland-Ost gerade die Gesellschaftsteile, die sich vor rund 35 Jahren von einem Unterdrückungssystem mit Überwachungs- und Willkürformen befreit hat, heute wieder Parteien wählen mit gleichen Zielsetzungen, das wirkt wie ein Treppenwitz der Geschichte.
Chomsky beschreibt anhand von US-Beispielen, wie die Akteure und Profiteure des Neoliberalismus die Gewaltenteilung (Legislative, Exekutive und Judikative) mit Hilfe der politischen Parteien und Lobbyisten demontierte und die Macht auf die Unternehmensleitungen der Konzerne und ihre Netzwerke umleitete.
Das erste Ziel der neoliberalen Agenda war: „… die Businesswelt aufzufordern, ihre Macht zu nutzen, um das abzuwehren, was sie als einen großen Angriff auf die Wirtschaft ansah – was darin gesehen wurde, dass der Unternehmenssektor nicht mehr fast alles frei kontrollieren konnte, sondern dass es einige zarte Bemühungen gab, seine Macht einzuschränken!“
Den Neoliberalismus in seiner „Probephase“ entwickelten die sogenannten Chicago Boys auf der Grundlage der Chicagoer Schule und Friedrich August von Hayeks Ökonomiemodell und Milton Friedmans Ansatz ökonomischen Agierens durch den „freien Markt“ und die Ablehnung „staatlicher Eingriffe“ in die Wirtschaft.
Milton Friedman gilt als wichtigster Vordenker des Neoliberalismus („Kapitalismus und Freiheit“), den Noam Chomsky („Profit over People – Neoliberalism and Global Order“) widersprach mit seiner Kritik: … „weil der Neoliberalismus zur Privilegierung weniger Reicher auf Kosten der großen Mehrheit geführt habe. Große Konzerne und Kartelle beherrschten das politische Geschehen in den USA. Der freie Markt bringe somit nicht im Geringsten eine Wettbewerbsordnung hervor. Durch den politischen Einfluss großer Unternehmen auf die US-amerikanischen Parteien werde dauerhaft die Demokratie untergraben“.
Im Rahmen der 1960er bis Mitte der 1970er Jahre entstanden Bewegungen, welche in Westdeutschland von Willy Brandts „Mehr Demokratie wagen-Idee“ getragen wurde und Mitbestimmungsformen realisieren wollte, sowie den Einfluss auf heutige Forderungen einbrachten, direkte Demokratie zu installieren. Dass gerade auch die Gewerkschaften ein gewichtiger Partner darstellte, war so ganz und garnicht im Sinne der neoliberalen Gesinnungsgruppen.
„Alle möglichen Gruppen forderten mehr Rechte: die Jungen, die Alten, die Frauen, die Arbeiter, die Landwirte, manchmal auch „Sonderinteressen“ genannt. Eine besondere Sorge galt dem Versagen der Institutionen, die „für die Indoktrination der Jugend“ verantwortlich waren: Schulen und Universitäten.
Das Bildungswesen mit Universitäten und Schulen wurde für die dem Kapitalismus nicht konforme Entwicklung von ökonomischen Modellen verantwortlich gemacht, die den Fortschritt behindere.
„Deshalb sähe man so viele junge Leute, die mit ihren Aktivitäten die Gesellschaft störten. Solche Bestrebungen des Volkes wurden als untragbare Belastung für den Staat angesehen, der auf diese Sonderinteressen nicht reagieren konnte. Also hatten wir eine Krise der Demokratie.
Die Lösung lag auf der Hand: „mehr Mäßigung der Demokratie“. Mit anderen Worten, eine Rückkehr zu Passivität und Gehorsam, damit kurioserweise die Demokratie gedeihen kann“.
In der Ideologie des Neoliberalismus habe der Staat durch die Politiker die Aufgabe – auch mittels der Medien vermittelt und gestützt – dass nachstehendes Modell der Machtverteilung installiert werde.
„Die Bürger des Landes haben in einer gut funktionierenden Demokratie die Aufgabe, alle paar Jahre einen Hebel zu betätigen, um jemanden zu wählen, der ihnen von den „verantwortlichen Männern“ angeboten wird. Sie sollen „Zuschauer, nicht Teilnehmer“ sein und mit „notwendigen Illusionen“ und „gefühlsstarken Vereinfachungen“ bei der Stange gehalten werden, was Lippmann die „Herstellung von Zustimmung“ nannte, eine Hauptaufgabe jeder Demokratie..“
Dass sowohl in Deutschland, in der EU und mit Trump auch in den USA ein Erstarken der autoritären und demokratiefeindlichen Entwicklungen zu verzeichnen sind, belegt die Mitverantwortung des Neoliberalismus durch die unsoziale, ungerechte und armutsausweitenden Bevorzugungen der Unternehmen (von Freihandelsverträge – die die Mitbestimmung und Mindestlohnpolitik ausklammern und vermeiden – bis hin zur Steuerbefreiung und Vermeidung von gerechter Verteilung der Belastungen für die ökonomisch Begünstigten der Gesellschaften). So sind Parteien á la Lindner-FDP, CSU und Teile der CDU besonders alimentierte Handlanger der großen Player in der Ökonomie, die dafür sorgen, dass Vermögensvermehrungen stärker geschützt werden (fehlende Vermögenssteuern, keine Transaktionssteuern für Börsenaktivitäten) als die Sorge und Pflicht der Regierungen, die Gemeinwohlaufgaben durch gerechte Belastungsverteilung finanzierbar zu machen.