Im Podcast „Alles gesagt?“ plauderte der CDU/CSU-Kanzlerkandidat Friedrich Merz mit den Gastgebern Jochen Wegner (Chefredakteur von ZEIT ONLINE) und Christoph Amend (Editorial Director DIE ZEIT) zum Thema: „Friedrich Merz, warum wollen Sie Kanzler werden?“
Zwei Stunden und 19 Minuten lang eine hörbare „Homestory“ zwischen „Weißfärbung“ eines möglichen zukünftigen Kanzlers hinsichtlich seines ambivalenten Lebenslaufs und den belanglosen Smalltalk-Fragen zum politischen Programm und seiner Weltsicht. Begleitet und moderiert von journalistischer Anbiederung und dünnsuppiger Freundlichkeit, anstatt mit kernigen Fragen zu den gesellschaftlichen Problemen nach den Vorstellungen von Lösungsmöglichkeiten beim Kandidaten Merz zu forschen.
In der Verkleidung von Antworten seitens des Herrn Kandidaten Merz schwammen des Öfteren nur Phrasen durch den Raum wie:
- „Ich habe die CDU auf einen neuen Kurs gebracht“ – wobei der Hörer assoziierend und fragend ergänzte – weg von der Politik der Angela Merkel hin zu noch mehr Neoliberalismus, einseitiger Vertretung der Belange der Finanz- und Produktionswirtschaft und Stärkung des Vermögensschutzes?
- „Wenn ich was zuspitze in meinen Äußerungen, dann meine ich das auch so…“ – eine Äußerung, die den Anschein einer Drohung nicht vermeiden konnte und die Frage implizierte, ob sie Beleg für „Führungsstärke“ sein sollte?
- „Schnelles Recht ist gutes Recht“, danach habe er als Richter gewirkt, lässt sofort die Idee aufkommen, dass hier die Botschaft lautete, Entscheidungen schnell und kompromisslos umzusetzen. Ganz im Stile Trumps?
- „Deutschland darf sich nicht enthalten“ (offen blieb: wobei?), „Deutschland muss eine Meinung haben“ (wer ist Deutschland? Und sind seine Repräsentanten jeweils ohne Meinungsäußerung geblieben? Und die kommt jetzt erst mit ihm, dem „großen Fritz“?) sowie „Deutschland muss Führungsverantwortung übernehmen“ (Wer-, Wobei-, Wozu- und Wie-Fragen? bleiben auch hier weiter offen!)
- „Wahlkämpfe verändern Zahlen…“ – eine „erhellende“ Erkenntnis, dass Umfragezahlen nicht ohne Bandbreite der statistischen Irrtümer denkbar sind. Und ja, die enthaltene Binsenweisheit besagt möglicherweise, dass die inhaltslosen Wahlkämpfe die tatsächliche Gefährdung der Demokratie mit belanglosen Interviews in der Tat ggfs. nicht aufhalten wird.
Nichts zu hören war jedoch, was bei Friedrich Merz und seiner Parteien-Melange mit der CSU die Partei-Fremd- und Selbstdarstellung seiner Person tiefe Kratzer und Beulen in seinen „Lack“ hinterlassen würde.
Fragen zur Aufklärung der Wirtschafts- und Unternehmens-Positionen wurden nicht gestellt. Sie aber komplettieren erst die Verortung des Weltbildes bei Friedrich Merz.
Die Mitgliedschaft und Unterstützung der Konzerne und Stiftungen, in denen Merz als Aufsichtsrats-Vorsitzender Einfluss auf das Handeln und die Unternehmens-Ethik hatte, deren unternehmerische Tätigkeit und Wirkung einen deutlichen Zweifel hinterlassen an der Verpflichtung Merz als Kanzler, dem Interesse der gesamten Bevölkerung zu dienen und nicht nur Lobby-Arbeit für den Neoliberalismus und den Einschränkungen des Sozial- und Gemeinwesens zu machen. Die Auflistung der nachfolgenden Positionen lassen den Zweifel wachsen und mehr als berechtigt erscheinen!
- Friedrich Merz war 2016 zum Aufsichtsrats-Vorsitzenden der BlackRock Deutschland AG ernannt worden. Seine Aufgabe lautete nach Aussage seines Vorgesetzten, David Blumer, Chef von BlackRock Europe: „Friedrich Merz wird einen wichtigen Beitrag dazu leisten, unser Geschäft in Deutschland voranzutreiben und dabei eng mit unseren Kunden, Partnern, Regierungsvertretern und Regulierern in Deutschland zusammenarbeiten.“ (Quelle: Werner Rügemer – „BlackRock & Co enteignen! Auf den Spuren einer unbekannten Weltmacht“. Diese Position hatte Merz bis 2020 inne. Er trat zurück, weil Kritik bei seiner Bewerbung als CDU-Vorsitzender laut wurde.) Diese Lobby-Tätigkeit für das Finanz-Kapital ist nicht die einzige. Und eine Bevorzugung dieser gesellschaftlichen Gruppe wird auch in der Position als Kanzler sich nicht ins Gegenteil verkehren.
- Mit der Unterstützung der INSM (Initiative Neue Soziale Markwirtschaft) agierte Friedrich Merz aktiv als Gründer des Fördervereins der INSM, dessen Ziel darin bestand, die Finanzmittel einzusammeln für die Aktivitäten dieser Einrichtung. 2007 wurde die INSM Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft GmbH zur GmbH umfirmiert. Der Bezug zur „Soziale Marktwirtschaft“ entbehrt nicht eines Hohns, wer bedenkt, dass die Finanzierung überwiegend von den Arbeitgeberverbänden der Metall- und Elektroindustrie erfolgt und „soziale Marktwirtschaft“ einen anderen Schwerpunkt als Neoliberalismus hat.
- Merz war als Partner der internationalen Anwaltskanzlei Mayer, Brown, Rowe & Maw LLP tätig! Als Repräsentant dieser Kanzlei wurde Merz 2010 als Anwalt vom Sonderfonds Finanzmarktstabilisierung (SoFFin) beauftragt, einen Käufer für die marode WestLB zu finden, nachdem die Kanzlei Mayer Brown bereits die Auslagerung der Ramschpapiere dieser Bank im Wert von 77 Milliarden Euro in eine mit Steuergeldern finanzierte Bad Bank gemanagt hatte. Für Merz und Mayer Brown hat sich dieser Deal zweifelsohne gelohnt: Friedrich Merz, der in seinen politischen Reden stets darauf hinweist, dass der Staat kein Selbstbedienungsladen sei, bekam für seine Dienste ein Honorar in Höhe von 5.000 Euro – nicht pro Monat, sondern pro Tag! So stellte Merz seine üppige Tagespauschale sogar für die Wochenenden in Rechnung und kam so bei 396 in Rechnung gestellten Tagen auf ein Gesamthonorar von 1.980.000 Euro. (Quelle: Jens Berger NDS und TV-Sendung ZDF Frontal21 vom 27. November 2018).
- Den Zuschlag der Übernahme der WestLB (den Friedrich Merz mitverantwortete) und zur Abwicklung bekam das Bankhaus HSBC Trinkaus & Burkhardt, dessen Verwaltungsrat-Vorsitzender anschließend Friedrich Merz wurde und bis 2019 als gutdotierte Position innehatte!
- Obwohl es eine Beschränkung der gleichzeitigen Aufsichtsratsposten auf 10 Unternehmen gibt, lautet die Empfehlung des Deutschen Corporate Governance Kodex (DCGK) die gleichzeitige Ausübung als Aufsichtsrat bei börsennotierten Unternehmen auf drei (3) zu beschränken.
- „Friedrich Merz saß unter anderem in den Gremien der AXA Konzern AG, der DBV-Winterthur Holding AG, der Deutschen Börse AG, der Ernst& Young AG, der ROCKWOOL Beteiligungs-GmbH, der WEPA Industrieholding SE, der Commerzbank AG und der HSBC Trinkaus. Sein größter Karriereschritt vor Parteivorsitz und Kanzlerkandidatur war jedoch sicherlich die Ernennung zum Vorsitzenden des Aufsichtsrates beim deutschen Ableger des weltgrößten Vermögensverwalters BlackRock.“ (Quelle: Jens Berger NDS)
- Zudem ist die enge Verzahnung der CDU mit dem Wirtschaftsrat der CDU e. V. (Lobbyverband der deutschen Wirtschaft) dubios, da dieser Verein kooptiertes ständiges Mitglied im CDU-Bundesvorstand ist, obwohl dieser Verein rechtlich kein CDU-Organ ist und dennoch den Eindruck dazu erweckt hinsichtlich des Kürzels „CDU“. (Das Einfluss-Potenzial über die „Beratung“ des Bundesvorstandes ist umfangreich, der geschäftsführend durch das CDU-Präsidium vertreten wird, dessen Vorsitzender aktuell Friedrich Merz ist!) Der Schwerpunkt seiner Weltsicht und politischen Gesinnung liegt in der Interessensvertretung des neoliberalen finanzunternehmerischen Teils der bundesrepublikanischen Gesellschaft. Als möglicher zukünftiger Kanzler ist sein Fokus allem Anschein nach nicht auf die Daseinssorgeverpflichtung und die Gemeinwohlaufgaben gerichtet. (Ergänzung: Das macht ein Vertrauen in die Wahl der Person Merz schwierig und lässt damit auch die CDU als wählbar wesentlich skeptischer erscheinen! Wer Merz nicht als Kanzler der neoliberalen Profiteure will, kann auch die CDU nicht wählen. Erst recht nicht die FDP und auf keinen Fall die rechtsextremistische AfD!)
Wer zudem – wie Merz im Interview betonte – den ab heute offiziell vereidigten US-Präsidenten Donald Trump mit einem „handschriftlichen und persönlichen Brief“ beeindrucken will, ist entweder naiv in seiner Selbsteinschätzung sowie allem Anschein nach zugleich unfähig in der Einschätzung dieser egomanischen Person Trump, der die Welt „neu ordnen“ will!
Die konservative Verengung des Blicks auf die Welt und den dort agierenden Figuren mit Machtfantasien lässt die Befürchtung wieder aufkommen, dass Heinrichs Heines „Seufzer“ auch bald wieder aktuell werden wird:
„Denk ich an Deutschland in der Nacht, bin ich um den Schlaf gebracht!“