Johannes von Heinsberg – Bildsprache – Wortsprache

Fotografie und Philosophie – Sehen und Erkennen

Sag nein! – Wolfgang Borchert und die Verantwortung für Kriegsteilnahme

Klaus Paier – Das Finale / Fotografie: Michael Tiedt – Eigenes Werk CC BY-SA 3.0 Graffiti des Aachener Künstlers Klaus Paier, Schinkelstraße in Aachen

Die Menschen, die aufmerksam hinschauen und hinhören was die unfriedlichen Zeiten betrifft, kennen die von Galgenhumor gekennzeichneten Sprüche á la „Stell dir vor, es ist Krieg – und keiner geht hin!“ Ein nur scheinbar tröstender Gedanke, jedoch vor allem wirklichkeitsfremd und somit wenig hilfreich.

Eine Friedensbewegung, die spürbar positive Auswirkungen auf die Stimmung im Land hätte, wird vermisst. Warum? Darüber wird es ebenso strittige Antworten geben, wie auch beredtes Schweigen. Eine kraftvolle Demonstration wie die zuvor einige Wochen anhaltenden Proteste gegen „Rechtsextremismus“ und gegen das Wiedererstarken völkisch-radikaler Vorurteile und Einflussmöglichkeiten (AfD und Junge Alternative mit ihrem rechten Flügel unter Höcke und Konsorten) fehlt für die Wiederherstellung des Friedens in den Kriegsregionen weiterhin, obwohl Angriffskriege, Kriegsverbrechen und Terror-Massaker seit Jahren Millionen Menschen in Leid und Elend stürzen.

Politische Parteien, die Egomanen und Diktatoren freie Bahn verschaffen und Demokratien durch Diktaturen ersetzen wollen, sind vor allem in den ehemals freiheitlichen Demokratien auf dem Weg, die Totengräber der Demokratien zu spielen. Figuren wie Donald Trump (Republikaner) stehen am Wegkreuz der Zerstörung der USA oder wie Wladimir Putin in Russland, der das Land schon unter seine Kontrolle gebracht hat. In Ländern wie Russland ist durch die Machtkonzentration in der Hand Putins und seiner Entourage der Zustand des „Mal wieder zu spät sein!“ erreicht.

Dass es in den USA, in der EU und im Nahen Osten nicht flächendeckend zu einem Zustand „Mal wieder zu spät sein!“  kommen darf, das ist nur zu vermeiden, wenn die Wahl der Republikaner um Donald Trump, die Wahl der AfD (Weidel, Höcke ua.) in Deutschland und die Wahl der rechtsradikalen und faschistischen Parteien in der EU unterbleiben. Die Wähler haben es in der Hand, diesen Parteien und Personen keine Machtbefugnisse zu erteilen. Nur dann und im Voraus aktiv sein, dann wird es gelingen, dass es kein „Mal wieder zu spät sein!“ geben wird!

Wolfgang Borchert, deutscher Schriftsteller der ersten Nachkriegsliteratur, starb 1947 schon zwei Jahre nach dem Ende des 2ten Weltkrieges. Die Traumata der Hitler-Diktatur und der Kriegserlebnisse bestimmten Prosa und Lyrik bei Borchert. Kurz vor seinem Tod schrieb er sein letztes Werk „Dann gibt es nur eins“. Wie ein Vermächtnis an die Deutschen und die nachfolgenden Generationen klang die Aufforderung, „Sag nein“ zur Teilnahme an weiteren Kriegen! 

Dieses Ziel wird allerdings nur erreicht, wenn die Wähler bei der Wahl verhindern, dass die anti-demokratischen, extremistischen, faschistischen, rassistischen, völkisch-nationalistischen, menschenfeindlichen, ausgrenzenden, unterdrückungsbereiten,  egomanischen und machtgierigen Kandidaten und Parteien gewählt werden!

„Die“ Wahrheit leidet auf allen Ebenen – besonders jene der Ostermärsche der Friedensbewegungen

„Sag nein“ wirkt nur, bevor die Machtpositionen erreicht werden. Danach ist es zu spät! Das zeigt das Beispiel Putins! Dann wird Krieg wieder als Mittel zum Zweck eingesetzt. Jeder Angriffskrieg führt zum Verteidigungskrieg. Jeder Terrorangriff wird nur mit Waffen abgewehrt können. 

Klaus Paier – Photo: Rehgina a.k.a. Regina Weinkauf / Copyrighted free use

Wolfgang Borchert

Dann gibt es nur eins!
Du. Mann an der Maschine und Mann in der Werkstatt. Wenn sie dir morgen befehlen, du sollst keine Wasserrohre und keine Kochtöpfe mehr machen – sondern Stahlhelme und Maschinengewehre. dann gibt es nur eins:
Sag NEIN!
Du. Mädchen hinterm Ladentisch und Mädchen im Büro. Wenn sie dir morgen befehlen, du sollst Granaten füllen und Zielfernrohre für Scharfschützengewehre montieren, dann gibt es nur eins:
Sag NEIN! Du. Besitzer der Fabrik. Wenn sie dir morgen befehlen, du sollst
statt Puder und Kakao Schießpulver verkaufen, dann gibt es nur eins:
Sag NEIN!
Du. Forscher im Laboratorium. Wenn sie dir morgen befehlen, du sollst einen neuen Tod erfinden gegen das alte Leben, dann gibt es nur eins:
Sag NEIN!
Du. Dichter in deiner Stube. Wenn sie dir morgen befehlen, du sollst keine Liebeslieder, du sollst Haßlieder singen, dann gibt es nur eins:
Sag NEIN!
Du. Arzt am Krankenbett. Wenn sie dir morgen befehlen, du
sollst die Männer kriegstauglich schreiben, dann gibt es nur eins:
Sag NEIN!
Du. Pfarrer auf der Kanzel. Wenn sie dir morgen befehlen, du sollst den Mord segnen und den Krieg heilig sprechen, dann gibt es nur eins:
Sag NEIN!
Du. Kapitän auf dem Dampfer. Wenn sie dir morgen befehlen, du sollst keinen Weizen mehr fahren – sondern Kanonen und Panzer, dann gibt es nur eins:
Sag NEIN!
Du. Pilot auf dem Flugfeld. Wenn sie dir morgen befehlen, du sollst Bomben und Phosphor über die Städte tragen, dann gibt es nur eins:
Sag NEIN!
Du. Schneider auf deinem Brett. Wenn sie dir morgen befehlen,
du sollst Uniformen zuschneiden, dann gibt es nur eins:
Sag NEIN!
Du. Richter im Talar. Wenn sie dir morgen befehlen, du sollst zum Kriegsgericht gehen, dann gibt es nur eins:
Sag NEIN!
Du. Mann auf dem Bahnhof. Wenn sie dir morgen befehlen, du sollst das Signal zur Abfahrt geben für den Munitionszug und für den Truppentransport, dann gibt es nur eins:
Sag NEIN!
Du. Mann auf dem Dorf und Mann in der Stadt. Wenn sie morgen kommen und dir den Gestellungsbefehl bringen, dann gibt es nur eins:
Sag NEIN!
Du. Mutter in der Normandie und Mutter in der Ukraine, du, Mutter in Frisko und London, du, am Hoangho und am Mississippi, du, Mutter in Neapel und Hamburg und Kairo und Oslo – Mütter in allen Erdteilen, Mütter in der Welt, wenn sie morgen befehlen, ihr sollt Kinder gebären, Krankenschwestern für Kriegslazarette und neue Soldaten für neue Schlachten, Mütter in der Welt, dann gibt es nur eins:
Sagt NEIN! Mütter, sagt NEIN!
Denn wenn ihr nicht NEIN sagt, wenn IHR nicht nein sagt, Mütter, dann: dann:

In den lärmenden dampfdunstigen Hafenstädten werden die großen Schiffe stöhnend verstummen und wie titanische Mammutkadaver wasserleichig träge gegen die toten vereinsamten Kaimauern schwanken, algen-, tang- und muschelüberwest den früher so schimmernden dröhnenden Leib, friedhöflich fischfaulig duftend, mürbe, siech, gestorben

– die Straßenbahnen werden wie sinnlose glanzlose glasäugige Käfige blöde verbeult und abgeblättert neben den verwirrten Stahlskeletten der Drähte und Gleise liegen, hinter morschen dachdurchlöcherten Schuppen, in verlorenen kraterzerrissenen Straßen

– eine schlammgraue dickbreiige bleierne Stille wird sich heranwälzen, gefräßig, wachsend, wird anwachsen in den Schulen und Universitäten und Schauspielhäusern, auf Sport- und Kinderspielplätzen, grausig und gierig, unaufhaltsam – der sonnige saftige Wein wird an den verfallenen Hängen verfaulen, der Reis wird in der verdorrten Erde vertrocknen, die Kartoffel wird auf den brachliegenden Äckern erfrieren und die Kühe werden ihre totsteifen Beine wie umgekippte Melkschemel in den Himmel strecken –
in den Instituten werden die genialen Erfindungen der großen Ärzte sauer werden, verrotten, pilzig verschimmeln

– in den Küchen, Kammern und Kellern, in den Kühlhäusern und Speichern werden die letzten Säcke Mehl, die letzten Gläser Erdbeeren, Kürbis und Kirschsaft verkommen – das Brot unter den umgestürzten Tischen und auf zersplitterten Tellern wird grün werden und die ausgelaufene Butter wird stinken wie Schmierseife, das Korn auf den Feldern wird neben verrosteten Pflügen hingesunken sein wie ein erschlagenes Heer und die qualmenden Ziegelschornsteine, die Essen und die Schlote der stampfenden Fabriken werden, vom ewigen Gras zugedeckt, zerbröckeln — zerbröckeln — zerbröckeln —

– dann wird der letzte Mensch, mit zerfetzten Gedärmen und verpesteter Lunge, antwortlos und einsam unter der giftig glühenden Sonne und unter wankenden Gestirnen umherirren, einsam zwischen den unübersehbaren Massengräbern und den kalten Götzen der gigantischen betonklotzigen verödeten Städte, der letzte Mensch, dürr, wahnsinnig, lästernd, klagend – und seine furchtbare Klage: WARUM? wird ungehört in der Steppe verrinnen, durch die geborstenen Ruinen wehen, versickern im Schutt der Kirchen, gegen Hochbunker klatschen, in Blutlachen fallen, ungehört, antwortlos, letzter Tierschrei des letzten Tieres Mensch – all dieses wird eintreffen, morgen, morgen vielleicht, vielleicht heute nacht schon, vielleicht heute nacht, wenn – wenn – wenn ihr nicht NEIN sagt.
 
Quelle – zitiert aus: Wolfgang Borchert, Das Gesamtwerk, Rowohlt 1986, Seite 318 ff 

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