Johannes von Heinsberg – Bildsprache – Wortsprache

Fotografie und Philosophie – Sehen und Erkennen

Von Kant und Kafka – Philosophie und Literatur als Bereicherung und Abenteuer

Verwandlung 

Neben Kant (am 22. April 2024 ist der 300. Geburtstag) wird Franz Kafka mit seinem 100sten Todestag (am 03. Juni 1924) in diesem Jahr in den Fokus der Kulturinteressierten genommen werden. Kafka und seine Werke wahrzunehmen ist sowohl berechtigt aufgrund seiner Stellung im Kanon der wichtigen Autoren, wie auch besonders aktuell zutreffend hinsichtlich des Zeitgeistes, der in vielen Aspekten vergleichbar ist mit der heutigen Situation der Menschen. (Pandemie, Spaltung der Gesellschaft, Vereinsamung)

Kafka erlebt den Jahrhundertwechsel vom 19. Jahrhundert ins 20. Jahrhundert. Damit prägen ihn die politischen wie gesellschaftlichen Entwicklungen in seinen Schul-, Studien- und Berufszeiten, von der Gründerzeit als Melange aus rasanter Industrialisierung und monarchischer Überheblichkeit bis zum Beginn der ersten Demokratie nach dem ersten fürchterlichen Weltkrieg und den folgenden chaotischen Zuständen und dem Verlust der bis dahin wirkenden Weltanschauung. Begleitet wird dieser gesellschaftliche Umbruch von Pandemien wie der weltweit wütenden „spanischen Grippe“ mit weiteren Millionen Toten nach den Kriegstoten.

In Kafkas Werke ist die Einsamkeit der Menschen ebenso Gegenstand, wie das Erleben der Bedrohungen durch Terror, Armut, Technologien und Technik und der Unfähigkeit der Regierungen, die zeitgeschichtlichen Probleme (Reparationszahlungen, Inflation, Wohnungselend in Städten und auf dem Land lösen zu können. Gleichzeitig erfolgt die Radikalisierung der politischen Parteien an den Rändern der Gesellschaft. Gewalt und Umsturzversuche (Hitlerputsch) der Faschisten und wie Kommunisten schwächen und spalten die Gesellschaft. 

Kafka – Die Verwandlung und der Angriff auf Wehrlose

Mit „Die Verwandlung“ gelingt Kafka ein besonders ergreifendes Gleichnis für die soziale Isolierung, der sich viele Menschen damals wie heute ausgeliefert sehen. Der Protagonist Georg Samsa findet ein seinem Beruf (Reisender, Vertriebler) keine Erfüllung. Pflichtgemäß erfüllt er aber seine Verpflichtungen, auch weil er seine Familie wirtschaftlich unterstützen muss. Seine Verwandlung in ein Insekt, das eines Morgens auf dem Rücken liegend aufwacht, sich nicht aus dieser Lage befreien kann, macht ihn als Ernährer seiner Familie (Eltern, Schwester) untauglich. Statt Empathie und Mitleid erfährt er Ablehnung und Aggression. Vom Vater wird er tödlich verletzt.

Auch seinen anderen Hauptfiguren in „Das Schloss“ und „Der Prozess“  scheitern an ihren Aufgaben, als sie versuchen, sich der gesellschaftlichen Realität zu stellen. Nach Kafkas Sicht sind die Gründe für das Scheitern in der Komplexität und Intransparenz der Wirklichkeit wie in den Verhalten der Mitmenschen mit ihren Egoismen, Gleichgültigkeiten, Gewaltbereitschaft und Selbst- wie Fremdtäuschungen zu sehen.

Alle gesellschaftlich-politischen wie menschlichen Schwächen, die Kafka beschreibt (und selbst empfindet) sind auch heute für die Menschen erlebbar und haben ihre negativen Auswirkungen auf das Leben großer Teile der Gesellschaft. Die Strukturen haben sich nicht geändert, die technologischen Mittel (Smartphone, IT, KI) sind zwar nicht mehr vergleichbar, die dadurch ausgelösten negativen Verhaltensveränderungen sind jedoch potenziert und in zeitlicher Komprimierung respektive Geschwindigkeit noch unlösbarer für den Einzelnen geworden.

Kafka macht mit seinen Romanfiguren sichtbar, wie die Vereinsamung und das Verloren sein entstehen kann, Lösungen für heute bleiben die Aufgabe für die Gesellschaft. Die aber braucht andere Verhalten und Lebensentwürfe, als sie heute sichtbar sind.   

Wer Literatur wie Philosophie als Kulturbausteine der Lebenswirklichkeit und Gestaltung der Lebensentwürfe akzeptiert, darf die Beschäftigung mit Kafka und Kant als Bereicherung und Abenteurer erleben. 

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