„Der Skeptiker redet mit allen, der Gesinnungsethiker letztlich nur mit Gleichgesinnten.“
„Vernünftig ist, wer den Ausnahmezustand vermeidet.“
(in Memoriam Odo Marquard)
Die Ignoranz der Kontingenz des Lebens
Es drängen sich Fragen zur Kompetenz und Inkompetenz in Politik, Wirtschaft (Führung und Management), Wissenschaft und Lehre sowie in der exekutiven Verwaltung auf, wobei wir alle täglich mit den ausbleibenden Antworten alleine gelassen werden. Stattdessen werden wir mit fraglichen Aktionen der Politik konfrontiert. In sachlichen Analysen wie auch in widersprüchlichen Berichten stehen vor aller Augen dann offensichtliches Versagen der Verantwortlichen im Mittelpunkt, wenn vermeidbare Katastrophen und Tragödien die Menschen betroffen haben. Die Zukunft der Betroffenen wird durch ein verbreitetes Verhalten der Verantwortlichen völlig ins Negative verändert. Denn die Verantwortlichen entziehen sich erfahrungsgemäß der Verantwortung.
Der Philosoph Odo Marquard hat dazu den Begriff Inkompetenzkompensations-Kompetenz gebildet, wenn Menschen in ihren Funktionen versagen, aber alles daransetzen, dass die so erfolgten Wirkungen und Folgen keine Konsequenzen für sie selber ergeben sollen. Vor allem sind es Führungspersonen aus Politik, Wirtschaft, Religionen und Verwaltung, die sowohl mit Macht ausgestattet sowie gleichzeitig öffentliche Personen sind.
Dass Menschen versagen, liegt in der Tatsache begründet, dass das Leben kontingent ist, also von Zufälligkeiten und Ungewissheiten gekennzeichnet wird. Kontingenzbewältigung ist zwangsläufig ein Versuch, die psychischen wie physischen Ungewissheiten kontrollieren zu wollen. Hannah Arendt hat in ihrem Werk „Vita activa oder vom tätigen Leben“ aus philosophischer Sicht auf die in Lohneinkommen bedingte Arbeit und ihre nur schwer beeinflussbare Rahmenbedingungen hingewiesen, die Auswirkungen auf Körper und Psyche für die so ihre Existenz sichernde Menschen haben.
Das Leben der Menschen ist komplizierter geworden in einer von Komplexität gezeichneten und aufgrund immer differenzierender Funktionen überbordenden Gesellschaft. Vor allem im Umgang miteinander, also im sozialen Verhalten, sind Ungewissheiten immer größer geworden, weil dort selten im Sinne der Daseinssicherung lösungsorientiert organisiert wird, dafür jedoch umso deutlicher durch Machtkonzentration und Machtausübung mehr kostensparende Maßnahmen eingesetzt werden und stattdessen – die Menschensicherheit ignorierend – dennoch risikoreich agiert wird. Das Motto „Et hätt noch emmer joot jejange“ hat schon oft Leben gekostet.
Die Bewältigung der angstbesetzten Unsicherheiten durch Risikoeinschränkung garantiert nicht die Beseitigung des Zufälligen und der Ungewissheiten! Wer Macht hat oder glaubt, sie zu haben, greift deshalb zur Übertreibung von Kontrolle aufgrund seiner Weltanschauung, um dieselbige zu erhalten und zu stärken. Rituale werden von Politik genutzt, um in der Öffentlichkeit Mitgefühl für die Opfer zu demonstrieren. Das ist wieder nachvollziehbar geworden bei den Ereignissen am Tatort der Terroraktion in Magdeburg. Wir kennen alle die Rede- und Satzbausteine, die in solchen Fällen zu lesen und zu hören sind. Sie erreichen jedoch niemals die wirklich Leidtragenden, die zu trösten und mit ihnen zu trauern mehr Zeit und Aufmerksamkeit verlangen, als durch einen schnellen Auftritt vor Ort geleistet werden kann.
Wie eine in Gang gesetzte Automatik erfolgen dann Kommentare und nicht zuletzt Hassaktionen, die von der jeweiligen politischen Ideologie oder von Verschwörungsmythen und deren Propaganda geprägt sind. Der Gipfel dieser Schäbigkeiten aber sind dann Handlungen wie Demonstrationen, mit denen die menschliche Katastrophe und das Leid der Betroffenen gekapert und umgedeutet missbraucht werden. Die tumben Ausrufe von „Deutschland den Deutschen“ sind ebenso inakzeptabel, wie der Versuch, eine solche Tragödie zu nutzen, um für die Ausdehnung der Überwachungsmöglichkeiten zu werben, wie es CDU-Innenminister Reul in NRW (Bewegungsprofil-Speicherung) praktizierte. Die Verknüpfung der schändlichen und mörderischen Anschläge auf die Besucher des Magdeburger Weihnachtsmarktes mit Antisemitismus-Parolen und rechtsnationalistischer Schlagworte á la „Umvolkung“ der rechtsextremistischer AfD und ihrer Wähler sind vor allem kaum noch zu ertragen.
Zudem finden in der Presse die Hauptursachen der Tragödie weniger Beachtung und werden kaum benannt! Denn die Möglichkeit, mit dem Fahrzeug in den Weihnachtsmarkt hinzufahren, bestand nur, weil die Zufahrten auf den Weihnachtsmarkt in Magdeburg nicht durch Sperren gesichert waren. Unabhängig vom Versagen der verschiedenen Dienste (BND, Verfassungsschutz, LKA etc., die den Täter schon länger im Fokus gehabt haben sollen) bleibt das Versagen von Verwaltung und den Ordnungskräften vor Ort, die nicht sicherstellten, dass durch Betonklötze oder durch Streifenwagen in den Zufahrten eine Absicherung gewährleistet wurde.
Was den Mitbürgern bleibt, ist skeptischer dem Treiben der Politik, der Parteien, der Wirtschaft und den Berichten in der Presse zu begegnen. Stattdessen den von Leid Betroffenen Mitgefühl entgegen zu bringen, in welcher Form auch immer. Und der Politik vor Augen zu halten, was von den demonstrierten Riten zu halten ist. Politik bedeutet, dass die Menschen und ihre Bedürfnisse dadurch ernstgenommen werden, in dem die Menschen eingebunden werden in die Entscheidungen, welche die ganze Gesellschaft betreffen. Zum Bespiel durch Bürgerräte, die mit gleicher Berechtigung an der legislativen Verantwortung wie die Abgeordneten beteiligt werden. Dagegen und stattdessen der Lobbyismus der Wirtschafts- und leistungslosen Vermögensklientel zurückgedrängt und abgeschafft wird.
Ergänzung
Verantwortungsübernahme bedeutet, dass mehr direkte Demokratie-Anteile für die Mitbürger aktiviert werden müssen. Es bedeutet auf keinen Fall eine Einmischung von egomanischen Machtgierigen á la Elon Musk, der sich erdreistet, vom aktiven Kanzler den Rücktritt zu fordern für ein Versagen, das auf kommunaler Ebene zu verorten ist. Seine Spaltungsversuche über egomanische Figuren im Geiste á la Weidel (AfD) und dem sich anbiedernden Lindner (FDP) sind mit allen legalen und rechtsstaatlichen Mitteln zurückzuweisen.
Besinnlichkeit am 4. Advent – oder Wahlkampf unterm Tannenbaum