Johannes von Heinsberg – Bildsprache – Wortsprache

Fotografie und Philosophie – Sehen und Erkennen

28. Juli 2022
von JvHS
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Documenta 15 – Kontextualisierung statt Diskurs – Vorurteile statt aufgeklärter Versöhnung?

Das Banner des Anstoßes! Das Recht auf Kunstfreiheit findet seine Grenzen! Denn Freiheit ist immer dort begrenzt, wo es die Freiheit und die Rechte der anderen beeinträchtigt. Und gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit – versteckt in bildnerischen Produkten – ist nicht hinnehmbar.

Die diesjährige documenta 15 kommt aus der Spirale gegenseitiger Vorwürfe und Anschuldigungen nicht hinaus. Dass nun Politiker fordern, die Kunst der documenta 15 mit einem Monitoring und einer umfassend begutachtenden Bewertung zu durchforsten, gibt dem Diskurs und der teilweise  berechtigten bisherigen Kritik einen besonderen Zungenschlag. Das Feld der Kunst zur Profilierung der Politik zu nutzen, wird nicht unbedingt zur Qualitätssteigerung des Diskurses beitragen. Es hat eher den Beigeschmack, dass die Beurteilung, was gültige und förderberechtigte Kunst ist, nur durch die Politik bewertet werden könne, weil diese auch über die Fördergelder bestimmen. Sozusagen dem Mantra folgend: wer zahlt, bestellt auch die Kunst. Und wenn die Kunst oder was und wie sie inhaltlich zu sein hat, einer solchermaßen wertenden Selektion nicht standhält, der streichen die Herren der Politik dann die Förderung.

„Kunst ist die Signatur der Zivilisation.“ (Jean Sibelius, 1865-1957)

Der Kern der Debatte und die Kritik an der documenta 15 kreist um das Thema, dass platter Antisemitismus in Machwerken zum Ausdruck gebracht wurde, jedoch die Macher dieser Werke in keiner Weise einem ästhetisch-künstlerischen Anspruch gerecht würden. Wer dem Aphorismus Sibelius` folgt, ist Kunst nur in Gesellschaften zu finden, die den Merkmalen der Zivilisation gerecht werden. Was aber setzt Zivilisation voraus? Das sesshafte Leben mit Arbeitsteilung, in Städten lebend und mit einer demokratischen Verfassung als Gesellschaftsvertrag das Zusammenleben bestimmend? Ist ein Gesellschaftsvertrag nur dann als solcher zu bezeichnen, wenn dieser Freiheit, Gleichheit und Solidarität in demokratischer Ausprägung umfasst? Sind in Diktaturen ästhetische Produktionen nicht als Kunst benennbar? 

„Kunst ist Magie, befreit von der Lüge, Wahrheit zu sein.“ (Theodor W. Adorno)

Oder bedingt Adornos Aussage, dass Kunst das Faszinierende und das Erhabene enthalten muss, um das Machwerk dann Kunst nennen zu dürfen? Kann das entfernte Werbebanner auf der documenta 15 deshalb nicht Kunst genannt werden, weil es weder magische Anziehungskraft versprüht, noch ästhetischen Ansprüchen genügte? Ist die Kategorisierung Adornos tatsächlich die, dass Kunst keine objektive Wahrheit und faktische Sachlichkeit beinhalten muss, um erst dann als Kunst anerkannt zu werden? Adorno argumentierte für die Anerkennung der Kreativität, die erst spät und oft nach dem Tod der Künstler als Kunst akzeptiert wurde. Als Beispiele dienen die letzten 150 Jahre mit den Kunstrichtungen: Impressionismus, Kubisten, Futuristen, Expressionisten, Neue Sachlichkeit und Avantgardisten oder mit den Werken von Pablo Picasso, Georges Braque, Max Beckmann, Franz Marc, Paul Klee und Piet Mondrian bis hin zur documenta 1 (Vergangenheitsbewältigung und Aufarbeitung der „Entarteten Kunst“ der Nazis) und documenta 2 (Kunst nach 1945), welche sich inhaltlich dem Zustand der Kunst in den 1950er Jahren widmeten.

„Kunst ist Anklage, Ausdruck, Leidenschaft!“ (Günther Grass)

Die Definition von Günther Grass dürfte als Maßstab, was Kunst ist, auch für das entfernte Banner bei oberflächlicher Betrachtung vermeintlich zutreffend sein. Wer die Grafiken von Grass betrachtet und  zugrunde legt, wird feststellen, dass über den von ihm verfassten Dreiklang hinausgehend eine andere ästhetische Ausstrahlung vorhanden ist, die gerade im entfernten Banner-Plakat nicht vorzufinden ist.

„Kunst ist ein humanitärer Akt. Kunst sollte in der Lage sein, die Menschheit zu beeinflussen, die Welt zu einem besseren Ort zu machen.“  (Jeff Koons)

Unter diesem formulierten Anspruch dürfte die meisten Kunstwerke wohl deshalb nicht Kunst genannt werden, wenn das politische und handlungsleitende Ziel nicht erkennbar ist. Das aber würde deutlich zu kurz greifen. Zu handeln, wie gehandelt wurde, ist bei der documenta 15 – wie bei jeder bisherigen auch – vom Zeitgeist und den aktuellen Themen der Gesellschaft,  sowie den Personen in der Leitung und Organisation bestimmt.

„Kassel, wir haben ein Problem!“ Die Künstler als kreative, anarchische Rebellen sind nicht mehr sichtbar; aber als Bürger sind sie auch nicht mehr Demokraten. Diesen Spagat haben Taring Padi, protegiert von den Machern der documenta 15 namens „Ruangrupa“, nicht hinbekommen.

Documenta 15 und das Banner des Anstoßes – Wann sind politische Bildinhalte auch Kunst?

In jeder documenta ist immanent das Ringen um die Übersicht der aktuellen Kunst enthalten. Auch das Ringen darum, welche gesellschaftliche Matrix wirksam ist. Kunst ist immer das Reibeisen, das dem aktuellen Zeitgeist Profil verschafft, ihn herausarbeitet und eine neue Dynamik künstlerischer Strömungen entwickelt. Möglich bleibt aber auch, dass die Kunst trivialisierend verdünnt wird. Die Krise der diesjährigen Documenta zeigt sich auch darin, dass diese Kunstschau ihren Nimbus als anerkannte und nicht antastbare Institution längst verloren hat. 

„People’s Justice“ – ein Banner ethisch und ästhetisch außer Rand und Bann? – documenta Machwerk von Taring Padi verhüllt!

Die documenta 15 hat die Tendenz, eine Kunstvermittlung mit beschränkter Haftung zu werden und wie Hans Platscheck 1977 formuliert: „.. es sind stets die Planungsstäbe, die einem die documenta verekeln.“ (Harald Kimpel „Documenta – Mythos und Wirklichkeit“, S. 180) 

Documenta als Werkkunstschau zwischen Aversion und Akzeptanz – Anspruch auf Übersicht der Gegenwartskunst noch erfüllbar?

25. Juni 2022
von JvHS
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Documenta als Werkkunstschau zwischen Aversion und Akzeptanz – Anspruch auf Übersicht der Gegenwartskunst noch erfüllbar?

Was ist die alle fünf Jahre stattfindende documenta inhaltlich und formal? Eine Werkkunstschau, somit eine zur Schau gestellte Übersicht, Einsicht oder Ansicht von künstlerischen Werken? Oder doch nur ein 100 Tage dauerndes Spektakel mit jeweils anderen Schwerpunkten, ausgewählt von Kuratoren und künstlerischen Leitungen, deren Subjektivität der Auswahlkriterien immer im Diskurs  mit der Fachwelt und der Kasseler Bevölkerung steht, diese zu verteidigen, durchzusetzen oder zurückzunehmen?

Was 1955 mit der Vergangenheitsbewältigung – gleichzeitig auch das Kernthema der documenta 1 – begann, war verbunden mit dem Ziel, eine Korrektur des „Sündenfalls“ der Nazi-Aktionen vorzunehmen – die die Kunst der Modernen als „entartet“ diffamiert und ideologisch motiviert zu vernichten begonnen hatten. Realisiert wurde dieses Ziel in der ersten documenta mit dem Anspruch, die Kunst der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts in ihren bedeutendsten Werken zu präsentieren. Wie sich auch in den nächsten fast sieben Jahrzehnten bis zu documenta 15 zeigen sollte, klaffte nicht selten eine Lücke zwischen Anspruch und Realisierung.

Auch wenn die Vergangenheitsbewältigung 1955 im Mittelpunkt des Ausstellungskonzeptes stand, war die Grundkonzeption schon ausgerichtet auf den Anspruch, eine Übersicht der Gegenwartskunst zu gewährleisten. Das jedoch impliziert, die Kunstrichtungen in ihren Entwicklungen zu erfassen, die Veränderungen der ästhetischen Wahrnehmungen begrifflich zu benennen und im Diskurs die zeitgeistigen Einflüsse und kunsttheoretischen Ansätze miteinander zu verbinden und terminologisch zu vereinbaren.

In diesem Anspruch ist das oftmalige Scheitern – sichtbar an den Skandalen –  immanent schon enthalten. Die nunmehr fast sieben Jahrzehnte von Innen- und Außenausstellungen ist auch eine Geschichte des öffentlichen Nachdenkens über die Inhalte, Motive und Realisationen von Kunst und Kultur, von Anregung und Aufbruch, von Akzeptanz und Ablehnung.

Vor allem die Außenausstellungen mit ihren Objekten sind sowohl für die Stadtentwicklung Kassels wie auch für die kulturelle und ästhetische Weiterentwicklung der Menschen in und über Kassel hinaus von Meinungen und Reaktionsformen gekennzeichnet.

So definierte Harald Kimpel 1992 – noch in der Funktion als wissenschaftlicher Mitarbeiter beim Kulturamt der Stadt Kassel –  in seinem Buch die jeweiligen Reaktionsstufen von der Aversion über Duldung, Gewöhnung, Gleichgültigkeit bis zur Akzeptanz. Ein nachvollziehbarer Ansatz.

An einem exemplarischen Beispiel – >>Rahmenbau<< von Haus-Rucker-Co (Künstler-Gruppe aus Österreich/ Ein riesiger Rahmen, kombiniert mit einem weiteren kleineren Rahmen ergibt eine Begrenzung für den Blick auf das Fulda Tal. Zuvor muss ein dazu gebauter Steg betreten werden!) – macht Kimpel nachvollziehbar, was nach den 100 Tagen nicht selten mit Außenausstellungsobjekten zu bewerkstelligen ist. Da ist vor allem die Duldung oft eine Frage der Finanzierung der Folgekosten!

Die Künstlergruppe Haus-Rucker-Co beschäftigte sich mit den Problemen des städtischen Lebens und der Stadtgestaltung. Ziel dieser Stahlkonstruktion als provisorische Architektur war, „als Vermittlungsform zwischen Architektur und Skulptur den Umraum zu markieren und durch Nutzung eine bewusste Auseinandersetzung des Nutzer in seiner Rolle als Rezipient mit seiner Umwelt zu provozieren“. (Kimpel)

 Ironisch kommentierte Peter Sager im Zeitmagazin 32/1977, S.5 diesen Anspruch mit:

„Den monumentalen Ausguckbetreten die Schaulustigen in der Erwartung, endlich im Rahmen der Kunst das gelobte Land zu erblicken und nicht nur das Fulda-Tal. Manche strengen sich an wie beim Augenarzt, um die verheißenen >neuen Wahrnehmungsfelder< zu entdecken. Einige behaupten: Nichts zu sehen. Manche freilich kehren von diesem Instrument zur allmählichen Verfertigung der Bilder beim Sehen zurück mit einem medienspezifischen Flackern in den Augen.“

Der aversive und ablehnende Augenblick kommt in diesem Beispiel nach dem Ende der documenta 6 zum Tragen. Ein Sturm im November 1977 hatte Spuren an dem Objekt hinterlassen, weil Teile der Konstruktion hinunterhingen. Dieser Zustand war auch noch nicht im Januar 1978 behoben. Da selbst die Absperrbänder aus Plastik schon teilweise zerstört waren, begann die Diskussion um die Wirkung als „negative Visitenkarte“ für die Künstlergruppe wie für die Stadt Kassel. Die Restauration des schon rostenden Rahmens dauerte bis Herbst 1978 an. Die Finanzierung übernahm ein Finanzinstitut. Eine Schenkung an die Bundesgartenschau –ebenfalls in Kassel – integrierte das Objekt dann in dieses Konzept zu Beginn des Jahres 1979. Ende 1979 stürzte dann der kleine Rahmen ab. Eine erneute Reparatur ließ das Objekt dann am gleichen Platz stehen – und wohl im Rahmen der Wahrnehmungssättigung – das ehemalige „Kunstobjekt“ verdrängen im Bewusstsein der Parkbesucher. Verdrängung ist wohl kaum Akzeptanz, vielleicht noch Gleichgültigkeit, zumindest aber Gewöhnung und Nichtmehr-Wahrnehmung.

Die künstlerischen Leitung der documenta 9 wollte dann nach 15 Jahren dieses Exponat abbauen lassen. Aber selbst am Ende der 9ten documenta stand das Ding immer noch.

Nichts ist so haltbar wie ein Provisorium – selbst als „Provisorische Architektur“!

Ergänzung vom 28.06.2022

Ein Kommentar von Floriane Azoulay, Direktorin der Arolsen Archives, zu den antisemitischen Bildern, die das indonesische Künstlerkollektiv Taring Padi auf der documenta 15 zeigte.

Die Arolsen Archives sind das internationale Zentrum über NS-Verfolgung mit dem weltweit umfassendsten Archiv zu den Opfern und Überlebenden des Nationalsozialismus. Die Sammlung mit Hinweisen zu rund 17,5 Millionen Menschen gehört zum UNESCO-Weltdokumentenerbe. Sie beinhaltet Dokumente zu den verschiedenen Opfergruppen des NS-Regimes und ist eine wichtige Wissensquelle für die heutige Gesellschaft.

„People’s Justice“ – ein Banner ethisch und ästhetisch außer Rand und Bann? – documenta Machwerk von Taring Padi verhüllt!

Documenta 15 und das Banner des Anstoßes – Wann sind politische Bildinhalte auch Kunst?

24. Juni 2022
von JvHS
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documenta 6 – ein exemplarischer Rückblick auf den thematischen Schwerpunkt „Medialisierung“

Die „documenta“ zu durchwandern, live Atmosphäre und Werke von rund 650 Kunstschaffende in einem ganz besonderen Rahmen von Innen- und Außerausstellungen zu erleben, dass gab es für mich erstmalig 1977 mit der documenta 6. Mit zwei Staatsexamina in der Tasche, die Lehrerlaubnis für Kunst darin enthalten, war die Begegnung mit Künstlern direkt vor Ort von besonderer  Erlebnisqualität geprägt.

Eine kunstsoziologische Abschlussexamensarbeit zum Thema „Reale und utopische Kommunikationsformen des Stadtlebens“ war erfolgreich und mit „sehr gut“ bei einem der teilnehmenden Künstler zuvor abgelegt worden. Fotografie und Zeichnung waren kunstpraktische wie dokumentarische Mittel und gestaltende Bestandteile der Arbeit.

Die documenta 6 war von besonderem Interesse für mich, da ihr Schwerpunkt unter dem Stichwort „Medialisierung“ stand. Damit wurde nicht nur die Mediengesellschaft thematisiert, vor allem waren Fotografie und Film (Video) als Kunstform und Gestaltungsmittel in den Fokus der Aufmerksamkeit gestellt worden.

Erstmalig vertraten mit Willi Sitte, Bernhard Heisig, Wolfgang Mattheuer und Werner Tübke  und den Bildhauern Jo Jastram und Fritz Cremer sechs Künstler aus der DDR die Kunst des „Sozialistischen Realismus“ auf der documenta.

Nicht nur im Mittelpunkt der Feuilletons der deutschlandweiten Printmedien standen die Arbeiten „Der vertikale Erdkilometer“ von Walter De Maria, das „Terminal“ von Richard Serra und Die „Honigpumpe am Arbeitsplatz“ von Joseph Beuys in der Rotunde des Fridericianums. Nachhaltigkeit und Sichtbarkeit reduzierten sich bei Walter De Maria auf eine kleine Plakette im Boden des Friedrichplatzes in Kassel; bei Beuys „Honigpumpe“ nach der temporären Installation in Fotografie und Film.

Dem Happening-Charakter der genannten Kunstaktionen ist Nachhaltigkeit nur in der besonderen Form von Film und Foto gegeben. Ein ästhetischer Dialog wird lediglich für einen kurzen Zeitabschnitt ermöglicht. Danach steht lediglich die zweidimensionale Wahrnehmung zur Verfügung. Eine eher negative Reduzierung auf ein völlig anderes Medium. Ob dies dem Anspruch einer dialektischen Kommunikation genügen kann, mag eine immanente Eigenart der Environments sein. Die Ausweitung der Exponaten-Präsentation zum Environment war dennoch ein Hauptansatz der documenta 6-Konzeption.

Hierzu schreibt denn der Kenner der Documenta-Geschichte und Wissenschaftler beim documenta-archiv, Harald Kimpel, in seinem Buch „documenta – Die Überschau“ zur documenta 6:

Das Selbstdarstellungspotenzial der Beteiligten ließ auch 1977 nicht auf sich warten. Joseph Beuys nutzte bei der Eröffnung die Übertragung des Hessischen Rundfunks die Gelegenheit, seinen Kunstbegriff live zu erläutern ebenso, wie Nam June Paik  (Videokünstler) mit Charlotte Moorman, um ein „musikalischen Fluxus-Ritual“ vorzuführen, wie Kimpel formulierte.

Scheinbar hat wohl jede documenta ihre Skandale und Skandälchen. Zur documenta 6 gehörten die Zerwürfnisse der für die Ausstellungskonzeption der Abteilung Bilder verantwortlichen Klaus Honnef und Evelyn Weiss mit Manfred Schneckenburger, künstlerische Leiter der documenta 6, die ihre Ämter niederlegten. Markus Lüppertz und Georg Baselitz zogen ihre Bilder aus der Ausstellung ebenso zurück, wie Gerhard Richter.  Die Befindlichkeitsskala war bis zum Anschlag auf Rot gestellt wegen der geplanten Umhängeaktion ihrer Bilder und damit nicht akzeptabler „Nachbarschaften“ mit weniger exponierten Künstlern, was für die genannten „Cracks“ und „Kings“ aus ihrer Sicht nicht zumutbar war.

Die Retrospektive zur Geschichte der Fotografie von den Anfängen im 19. Jahrhundert bis zur aktuellen Gegenwart war ebenso konzeptionell, qualitativ und substantiell gelungen,  wie der Überblick zu den ausgestellten Handzeichnungen der 1960er und 1970er Jahre.

Nicht zuletzt war die Laser-Show von Horst H. Baumann jede Nacht mit dem gespannten Lichtnetz aus roten und grünen Strahlen ein Erinnerungsbaustein der documenta 6, die bis heute traditioneller Bestandteil geblieben ist und damit einen „Laser-Lichtbogen“ schon 1977  in die Zukunft geworfen hat. 

Ergänzung vom 25.06.2022

Was von der documenta 15 bleiben wird, dazu gehört der Skandal um die Exponate des indonesischen Künstlerkollektivs „Taring Padi“ und des darin sichtbaren Antisemitismus. Ein plakativer und wenig gelungener Propaganda Versuch. Decodierbar wird im Verhalten der Gruppe im Vorfeld wie auch in den Versuchen, die „bildnerischer Kuh“ vom Eis zu holen, dass zu viele blinde Flecken auf das gesellschaftliche Umfeld des indonesischen Staates und vor allem eine rassistische Gesinnung sichtbar geworden sind. Eine große Mitverantwortung  liegt bei den Kuratoren und der documenta-Leitung, die in ihrer Beratungsarbeit bei diesem Thema völlig versagt haben.

 Ein wenig Einblick in die bildmäßige Verarbeitung der Inhalte lassen auch die vier Fotos in der FAZ zu, von denen Lars Hartmann (alias bersarin) sagt: 

„Daß ich solche intervenierende Kunst für trivial halte, brauche ich nicht extra dazuzusagen. Zumal solch erweiterter Kunstbegriff am Ende zu einer Entleerung von Kunst überhaupt führt und sich die Sache auf dem Bastel-Bau-und-Heimwerker-Niveau ansiedelt: jeder kann irgendwie irgendwas und kann es eben doch nicht.“ 

Und auch wenn er sich diese vier in der FAZ gezeigten Fotos von Werken ansehe, bleibe er skeptisch! 

Zum Thema documenta 15 auf diesem Blog:

hier und hier!

Ergänzung vom 26.06.2022

Ein Kommentar von Floriane Azoulay, Direktorin der Arolsen Archives, zu den antisemitischen Bildern, die das indonesische Künstlerkollektiv Taring Padi auf der documenta 15 zeigte.

Die Arolsen Archives sind das internationale Zentrum über NS-Verfolgung mit dem weltweit umfassendsten Archiv zu den Opfern und Überlebenden des Nationalsozialismus. Die Sammlung mit Hinweisen zu rund 17,5 Millionen Menschen gehört zum UNESCO-Weltdokumentenerbe. Sie beinhaltet Dokumente zu den verschiedenen Opfergruppen des NS-Regimes und ist eine wichtige Wissensquelle für die heutige Gesellschaft.

21. Juni 2022
von JvHS
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„People’s Justice“ – ein Banner ethisch und ästhetisch außer Rand und Bann? – documenta Machwerk von Taring Padi verhüllt!

Recht auf Kunstfreiheit findet seine Grenzen! Denn Freiheit ist immer dort begrenzt, wo es die Freiheit und die Rechte der anderen beeinträchtigt. Und gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit – versteckt in bildnerischen Produkten – ist nicht hinnehmbar.

Im Rahmen der documenta 15 ist es mit dem Werk „People’s Justice“ der Gruppe Taring Padi, protegiert von den Machern der documenta 15 namens „Ruangrupa“, zu einem Konflikt gekommen, der die Frage sowohl nach der Handlungsverantwortung aufwirft, wie nach der Beantwortung der Frage „Was darf Kunst?“  

Wenn es im Kunstbereich zu Konflikten kommt, berufen sich Künstler und Kunstagenten gerne auf das Recht der Meinungs- und Kunstfreiheit.

Wie und in welcher Weise ist das verhüllte Plakat als „Bild des Anstoßes“ davon betroffen? Das Verhältnis von Ethik und Ästhetik ist ein weiteres Feld, das die kollektiv geäußerte Kritik betrifft, die mit zum Sanktionsbeschluss geführt hat. Den hat das Kollektiv nach eigener Darstellung selber getroffen.

»Kunst und Wissenschaft, Forschung und Lehre sind frei«, heißt es im Grundgesetz der BRD (Art. 5, Abschnitt 3.)

Dazu heißt es bei Dagmar Fenner in ihrem Werk „Was kann und darf Kunst?“:

Zitat: In positiver Hinsicht wird damit allen Menschen das Recht auf eine künstlerische Betätigung im Werkbereich, das heißt in der Sphäre des Schaffens, sowie auf die Darbietung und Verbreitung von Kunstwerken im Wirkbereich zugesichert. Unter »Wirkbereich« wird bei dieser aus der Rechtsprechung stammenden Unterscheidung die Darbietung und Verbreitung der Kunst in der Öffentlichkeit verstanden.

Weil Kunst meist erst durch die Kenntnisnahme durch Rezipienten ihre Wirkung voll entfalten kann, wird auch dieser Bereich grundrechtlich geschützt. Negativ betrachtet enthält die Kunstfreiheit das Verbot, auf die künstlerische Tätigkeit eines Menschen einengend oder reglementierend einzuwirken: Weder der Staat noch Einzelpersonen dürfen einem Kunstschaffenden bestimmte Stilrichtungen, Inhalte oder Methoden vorschreiben und andere zu unterdrücken versuchen. Analog dazu bedeutet die Forschungsfreiheit, dass niemand einem Wissenschaftler anordnen darf, was als Wahrheit zu gelten hat und mit welchen Methoden diese zu erforschen sei.

Weder das Recht auf Forschungsfreiheit noch das Recht auf Kunstfreiheit gelten aber absolut. Sie stellen keineswegs einen Freibrief an die Forscher oder Kunstschaffenden dar, alles Beliebige mit allen denkbaren Methoden zu erforschen oder künstlerisch darzustellen. Juristisch gesehen findet das Recht auf Kunstfreiheit genauso wie das Recht auf Forschungsfreiheit seine Grenzen da, wo es mit anderen gesetzlich geschützten Grundrechten kollidiert“ Zitatende

„Es handelt sich dann um eine direkte Handlungsverantwortung gegenüber der vom Handeln in der aktuellen Situation Betroffenen sowie vor der ganzen Diskursgemeinschaft als moralischer Beurteilungsinstanz“, würde Fenner den aktuellen Vorgang werten.

Es sind keine Streubomben, wie in Putins Krieg, jedoch bewegt das „Kunst“-werk die Mitmenschen und produzierte Signale, die kommunikativ wirkten. Denn die in dem Werk eingearbeiteten Botschaften sind nicht in einem inhaltlich luftleeren Raum entstanden, sondern reagieren auch in diesem Beispiel auf Probleme ihrer – der Künstlergruppe –  Zeit und ihres Lebensumfeldes. Die zeitgeistige Darstellung des Lebensumfeldes ist allerdings erkennbar naiv und höchst subjektiv – um nicht zu sagen ideologisch verbrämt – widergegeben. Jedoch  ist die Kritik an bestimmten Lebens­- und Verhaltensweisen, Gesellschaftsformen oder politischen Systemen ohne kritische Distanz und globalem Blick auch deshalb in die Hose gegangen.

Wie  alle anderen Menschen tragen auch Künstler die Verantwortung für die Folgen ihres Handelns. Juristisch sind die Zeichen und Symbole in dem auch ästhetisch wenig überzeugenden Exponat mit antisemitischer Bedeutung aufgeladen. Da keine dialektische Codierung erkennbar ist, die eine künstlerische Hinterfragung der genutzten Symbole aufzeigen würde, ist die Sanktionshandlung wohl eine legitime Reaktion der weiteren Kuratoren.

Documenta als Werkkunstschau zwischen Aversion und Akzeptanz – Anspruch auf Übersicht der Gegenwartskunst noch erfüllbar?

 

Ergänzung vom 22.06.2022

Medienberichte als Stimmungs- und Meinungsbild – Beiträge zum Diskurs

TAZ 1

TAZ 2

Der Freitag 

Informationen zum Diskurs mit den Links zu den Feuilletons der FAZ, NZZ, Süddeutsche Zeitung, Die Zeit und dem ZDF:

FAZ

NZZ

SdZ

Die Zeit

ZDF

21. Juni 2022
von JvHS
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Documenta 15 und das Banner des Anstoßes – Wann sind politische Bildinhalte auch Kunst?

Ist das Kunst – oder kann das weg? (Taring Padi – „Wimmelbild“ genannt im Artikel auf „t-online„)

„Die Einzigartigkeit des Kunstwerks ist identisch mit seinem Eingebettetsein in den Zusammenhang der Tradition.“ – Walter Benjamin

„Das Leben ahmt die Kunst weit mehr nach als die Kunst das Leben.“ – Oscar Wilde

„Als Kind ist jeder ein Künstler. Die Schwierigkeit liegt darin, als Erwachsener einer zu bleiben.“ – Pablo Picasso

Wer die Plane – wohlwollend auch unter Bezug auf eine Technik aus dem Bereich der Internetseiten sich beziehend – als Banner, oder noch differenzierter, als graffitiartiges Plakat bezeichnet, kommt nicht daran vorbei, Inhalte, Form, Licht und Schatten sowie die Farbgestaltung zu hinterfragen.

Kunstsoziologisch und kunstgeschichtlich betrachtet, liegt es nahe, Vergleiche mit Künstlern aus anderen Kunstepochen vorzunehmen. Käthe Kollwitz und ihr Plakat zum Thema „Nie wieder Krieg“, Klaus Staeck mit seinen Plakaten aus den 1970er Jahren und die Graffiti-Malerei eines Klaus Paier sowie die Wandmalereien in den sozialistischen Ländern des Ostblocks sind unweigerlich Maßstäbe, mit dem das documenta15-Machwerk der Gruppe „Taring Padi“ vermessen und gewertet wird.

Walter Benjamin hatte den Terminus »Politisierung der Kunst« für die Bemühungen der Avantgardisten geprägt, die sich einer verqueren »Ästhetisierung der Politik« entgegenstemmten.

Eine ästhetische Bewertung wird nicht ausbleiben dürfen, wie der Diskurs zur Darstellung und der Gestaltung der Plane im Netz jetzt schon nachvollziehbar macht.

Und nach den ersten Wahrnehmungen ist die negative Bewertung die deutlich überwiegende. Lars Hartmann (Pseudonym: bersarin) lässt auf seinem Blog denn auch keine Zweifel aufkommen, dass hier die Grenze überschritten wurde.

Zitat: „Ich bin im Blick auf die documenta dafür, daß alle Kunst Kunst bleiben muß. Aber solcher Agitprop, der Judenhaß zum Thema hat, indem jüdische Stereotype gezeichnet werden, und solches Hetzprogramm als Kunst zu maskieren: das geht nicht, das ist nur noch bedingt von der Kunstfreiheit gedeckt.“ Und weiter… „Dies ist ganz einfach und deutlich gesagt „Stürmer“-Ästhetik, die in bestimmten Kreisen anscheinend hoffähig geworden ist.“ Zitatende  

Und ihm ist zuzustimmen, wenn er schreibt, dass „mit Blick aufs ästhetisch Gemachtsein“ er zu Recht von einem Machwerk spricht, welches in solch plumper Art und Weise daherkomme, dass auch durch Kunst kaschierter Antisemitismus nur Antisemitismus bleibe. Und ein Kunstwerk sei nicht deshalb ein Kunstwerk, weil es in einer Galerie oder einer der wichtigsten Kunstschauen Europas hänge.

Käthe Kollwitz – Nie wieder Krieg Bild: gemeinfrei

Nicht zuletzt sollte ein Verweis auf George Grosz erlaubt sein. Auch Grosz nutzte provokative Darstellungen in seiner Kunst zu politische Aussagen. Und Käthe Kollwitz hat mit ihrem Plakat „Nie wieder Krieg“ eindeutig politisch und moralisch Stellung bezog. Doch die künstlerische Qualität kam nicht zu kurz.  Ästhetisch sind die Werke Kollwitz und Grosz von deutlich anderer Qualität.

Nie wieder Krieg – Klaus Paier – Aachen, Bunker Saarstraße (Copyright CC BY-SA 3.0 oder neuer)

Selbst die Wandmalereien (und im weitesten Sinne Graffiti) eines Klaus Paier, die erst spät in ihrem Erhaltungswert von den Ratsmitgliedern in Aachen als schützenswert eingestuft wurden, spielen künstlerisch und ästhetisch in einer anderen Liga im Vergleich mit dem documenta15-Machwerk, das von den verantwortlichen Machern – in persona der Gruppe „Ruangrupa“ – protegiert wurde.

Nun bleibt noch, dass der Diskurs über künstlerisch-ästhetische Qualität das schon schiefhängende Bild mit dem „antisemitischen Fingerzeig“ im Stile einer agitatorischen Propaganda soweit wie notwendig gerade gerückt werden kann. Jede gruppenbezogene  Menschenfeindlichkeit – ob sprachlich oder bildnerisch geäußert –  muss als solche bezeichnet und kritisiert werden.

Ergänzung I

Die Ungleichzeitigkeit wie die Unbarmherzigkeit der Befindlichkeiten haben wieder zugeschlagen! Nach dem Muster von „Entweder-Oder“ ist der aktuelle Zustand so: Das Werk wurde komplett verhüllt. Die Kürze des Diskurses als kurzer Prozess? Was die Macher vorher wissen konnten und zu bedenken hatten, ist die eine Seite des alltäglichen Dramas. Wieso erst das Kind – hier der vermeintlichen Kunst – in den Brunnen fallen muss, bevor das Denken beginnt, ist die ewige Frage, auch die zur Souveränität einerseits, sowie einer Großzügigkeit beim Umgang mit dem Werk andererseits. Das Prinzip der Bestrafung ist nicht zu übersehen.  

Ergänzung II 

Informationen zum Diskurs mit den Links zu den Feuilletons der FAZ, NZZ, Süddeutsche Zeitung, Die Zeit und dem ZDF:

FAZ

NZZ

SdZ

Die Zeit

ZDF

Spiegel -Kolumne S. Lobo

Medienberichte als erweitertes Stimmungs- und Meinungsbild – Beiträge zum Diskurs

TAZ 1

TAZ 2

Der Freitag 

Ergänzung III

documenta 6 – ein exemplarischer Rückblick auf den thematischen Schwerpunkt „Medialisierung“

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