Das Alltagsverständnis für den Begriff Frieden umfasst die Beendigung einer Auseinandersetzung (Streit, Konflikt, Kampf, Krieg), die in Wort und Tat den Einsatz von Gewalt (körperlich oder psychisch) beinhaltet. Ungelöste Konflikte und Anwendung von Gewalt (bis hin zur Maximierung in der Form von Krieg) bedeutet die Abwesenheit von Frieden, Ruhe, Akzeptanz und Sicherheit.
Auf der Ebene menschlicher Beziehung im privaten Bereich (Familie, Beruf, Verein) ist damit verbunden: fehlende Toleranz, fehlendes Verständnis für das Gegenüber (Partner, Familienmitglied, Kollege:in), Hass, Feindschaft, Unterdrückung und Machtausübung. Auf der Ebene des Staates enthält die Abwesenheit von Frieden innerhalb des Staates das Fehlen einer sozialen und politischen Ordnung (wie sie im Gesellschaftsvertrag der Demokratie und des Rechtsstaats gegeben sind), die Abwesenheit von Frieden zwischen Staaten ist oft gekennzeichnet dadurch, dass das Fehlen von Verträgen und deren Bruch durch einzelne Staaten von der Gefahr recht schnell zur Realität des Krieges führt. „Das dt. Wort ›Frieden.‹ hat noch einen anderen Ursprung. Wie ›Freundschaft‹ und ›Freiheit‹ geht es auf das althochdeutsche ›fridu‹: ›Schutz‹, ›Sicherheit‹, ›Freundschaft‹ zurück. Und ihre indogerm. Wurzel ›pri‹ bedeutet ›lieben‹, ›schonen‹. Wie im Semitischen liegt also hier der Akzent auf der persönlichen Beziehung zwischen Menschen, wobei das Element der Sicherheit und des Schutzes besonders betont wird.“ – Zitat: Enzyklopädie Philosophie
Geschichtsphilosophisch ist ein Prozess der Bedeutung, was Frieden ausmacht, feststellbar.
In der griechischen Philosophie bei Platon und Aristoteles ist der Frieden weder Zweck der Staaten, noch das höchste Gut der Menschen.
Augustinus Definition von Frieden ist bestimmend für das Mittelalter und umfasst mit dem Begriff „Frieden, die Ruhe der Ordnung“. Für Augustinus ist der Frieden kein Zustand und keine Aufgabe, sondern die natürliche Grundlage sowohl des Glücks wie des Leidens.
„Wie der Schmerz ohne Leben ist der Krieg ohne Frieden unmöglich, wohingegen der Frieden ohne Krieg und das Leben ohne Schmerz durchaus möglich sind. Das heißt, dass der Frieden ursprünglicher ist als der Krieg und der Kampf, und nicht erst durch das Verlassen eines natürlichen Kriegszustandes entsteht.“
Augustinus unterscheidet allerdings zwischen dem Frieden als natürlicher Ordnung und als höchstem Gut, der nur im himmlischen Staat erreichbar ist. Thomas von Aquin betont aus diesem Verständnis heraus, dass ein gerechter Krieg durchaus berechtigt sei, wenn die Erreichung des himmlischen Friedens erst durch Krieg möglich sei. Diese Argumentation findet sich bis heute in den konservativen, orthodoxen und fanatischen Religionen von Judentum, Christentum bis zum Islam wieder unter den jeweiligen Propaganda-Thesen des „heiligen Krieges!“
Ein neues Verständnis von Frieden betont erst Erasmus von Rotterdam, für den der Zustand des Friedens immer mit der Verurteilung und Ablehnung des Krieges einhergeht!
Zitat
„Seine Argumente für den Frieden sind hierarchisch aufgebaut und gehen von der Ordnung der Natur bis hin zum Gebot der Einheit aller Christen als Kinder Gottes. Und seine Argumente gegen den Krieg betonen immer wieder dessen ökonomische, politische, gesellschaftliche und v. a. moralische Nachteile, unter denen alle Menschen nur leiden können. Darüber hinaus schlägt Erasmus konkrete Maßnahmen vor, durch die der Krieg überwunden werden soll: Er verlangt von den Herrschern, dass sie sich in den Dienst des Volkes stellen, dass sie nach dem Gemeinwohl urteilen und sich nicht nach ihren Leidenschaften richten, dass sie den Rat kluger alter Männer suchen und im Fall von Konflikten Schiedsrichter einsetzen, anstatt zu den Waffen zu greifen. Die Gefahr von Kriegen soll durch die Festlegung der Staatsgrenzen und der Ordnung der Nachfolge bei den Herrschern vermieden werden. Notfalls soll der Frieden erkauft werden, was viel besser und auch günstiger ist als ein Krieg. Vor allem aber soll der Frieden öffentlich gelobt und gepriesen werden, denn schließlich »besteht der F. zum Großteil darin, ihn aus ganzem Herzen zu wollen. Die nämlich, denen der Frieden wirklich am Herzen liegt, ergreifen jede Gelegenheit, Frieden zu stiften!“- Enzyklopädie Philosophie
Die nächsten philosophischen Entwicklungsschritte betont Thomas Hobbes, der von der Annahme ausgeht, dass ohne Staat die Menschen im Zustand des Krieges eines jeden gegen jeden leben würden. Die Begründung des Staates liegt also in der Notwendigkeit für sie, um ihrer Sicherheit willen, diesen hypothetischen Kriegszustand zu verlassen. Und er definiert entsprechend den Frieden nicht als Grundordnung des menschlichen Lebens, sondern als die Negation des Krieges!
Zitat:
Das Hilfsmittel des Friedens ist der Vertrag. Er besteht im gegenseitigen Verzicht der einzelnen Menschen auf ihr Recht auf alles und in der Begrenzung ihrer Freiheit auf das Maß, das mit der Freiheit der anderen vereinbar ist. Damit erhält jeder einzelne zwar kein neues Recht, aber die Möglichkeit, sein von den anderen anerkanntes Recht ungehindert auszuüben. Dazu sind die gefährlichen Mittel des Krieges nicht mehr nötig, zumindest solange der Vertrag von allen Seiten eingehalten wird. Doch diesbezüglich fehlt im Naturzustand jede Garantie. Deswegen ist ein bürgerlicher Staat notwendig, der das Einhalten der Verträge erzwingen kann und vor dessen Zwangsgewalt die Menschen sich derart fürchten, dass sie ihren Teil des Vertrags erfüllen und von den anderen vernünftig erwarten können, dass sie es auch tun. – Enzyklopädie Philosophie
Für Hobbes besteht der Frieden nicht in der Abwesenheit der Gewalt, sondern in deren Monopolisierung in den Händen eines Souveräns. Und sein Maß ist nicht die Gerechtigkeit der Ordnung, sondern die Sicherheit, die sie für das Leben der Einzelnen gewährt.
Hobbes betont in dieser Konstellation, dass nur der Rechts-Staat den Frieden durch Sicherheit gewährleisten wird, hinter der die Gerechtigkeit als Ordnungsmaßstab zurückstecken muss.
Die Möglichkeit des Krieges entsteht für Rousseau dagegen erst im gesellschaftlichen Zustand, wenn die Menschen in gegenseitiger Abhängigkeit leben und ihr Eigentum gegen die anderen verteidigen müssen. Rousseau behauptet zweitens, dass Kriege nie zwischen Individuen, sondern zwischen Staaten geführt werden. Das, was Hobbes als die Lösung des Kriegszustands darstellt, ist für Rousseau dessen Quelle. Nun gibt es auch für Rousseau kein Zurück in einen Naturzustand, den wir endgültig verlassen haben und den es vielleicht sogar nie gegeben hat.
Die Menschen müssen also von einem Zustand der Kriege zwischen den Staaten ausgehen und von da aus den Frieden suchen. Und die Lösung, die er vorschlägt, reproduziert auf der Ebene der Staaten diejenige, die Hobbes für die Individuen entworfen hatte. „Wenn es irgendein Mittel gibt, diese gefährlichen Gegensätzlichkeiten aufzuheben, dann kann dies nur eine föderative Regierungsform sein, welche die Völker durch Bindungen, ähnlich denen zwischen den Individuen, vereinigt und allesamt in gleicher Weise der Autorität der Gesetze unterwirft.“
Zu diesem Zeitpunkt entwickelt Rousseau, aufbauend auf der Idee des „ewigen Friedens“ des Abbé Saint-Pierre die Vorstellung von der Notwendigkeit einer „Europäischen Republik“ – ein Vorgänger der EU. Die von Saint-Pierre vorgeschlagene Lösung ist die durch Vernunft geleitete Bildung einer föderativen Regierung, die vier Bedingungen erfüllen soll: Der durch sie regierte Bund muss umfassend sein, einen Gerichtshof besitzen, über eine Zwangsgewalt verfügen und dauerhaft verbindlich sein.
Kant verbindet die Positionen Hobbes und Rousseau dergestalt, in dem er den Ansatz von Hobbes und der Idee eines Friedens zwischen Individuen innerhalb des Staates mit der von Saint-Pierre und Rousseau betonten Notwendigkeit des Friedens zwischen den Staaten. Für Kant sind die drei Ebenen der Verwirklichung des Friedens die des Rechts: Die demokratische Verfassung des Rechts-Staates, das Völkerrecht und das Weltbürgerrecht (oder moderner: die Menschenrechte).
In seinem Werk „Zum ewigen Frieden“ formuliert er seine Vorstellungen zur demokratischen Verfassung eines Rechts-Staates, der republikanisch sein soll!
Die Verfassung soll dabei ein Gesellschaftsvertrag unter Gleichen und als Recht durch gerechte Gesetze die Ordnung und Sicherheit im Innern gewährleisten, und in Bezug auf das Verhältnis zu anderen Staaten nach außen die Staatsbürger in direkter Form an den Entscheidungen beteiligen. Ob „republikanisch“ als repräsentative Form der zeitlichen Machtübertragung gemeint ist, bleibt dabei offen.
Das Völkerrecht kann nach Kant nur in Form des Föderalismus freier Staaten erfolgen, die ihre Souveränität behalten und nicht aufgeben, weil ansonsten die Staaten sich in ihrem Selbstverständnis auflösen würden. „Der Föderalismus ist das einzig mögliche Surrogat eines bürgerlichen Gesellschaftsbundes, das den Staaten die Erhaltung und Sicherung ihrer Freiheit sowie der Freiheit der anderen verbündeten Staaten und somit den Frieden zwischen ihnen garantiert.“ – Enzyklopädie Philosophie
Das Weltbürgerrecht (Menschenrechte) umfasst nach Kant, dass niemand mehr Recht als andere besitzt! Das betrifft das Aufenthaltsrecht, und fördert durch das entsprechende Besuchsrecht den Verkehr zwischen den Völkern. Dies sei der Weg einer kontinuierlichen Annäherung zum ewigen Frieden nicht nur in Europa, sondern auf der ganzen Welt. Kant betont die Verbindlichkeit des Rechts, das durch alle in Form zum Beispiel der Menschenrechte gelten muss. Die Autorität der Menschenrechte ist zu erlernen. Sie tritt an die Stelle des Diktators, des Tyrannen oder der Egomanen in Funktionen, die ihre Macht durch „Gehorsam und Gewalt“ ausüben wollen. Die Menschenrechte als Gesetz zu akzeptieren, über die niemand als Mensch oder Institution (Aktien-Gesellschaft) stehen kann, sichern nach Kant den Frieden.
Kants Idee des „ewigen Friedens“ spiegelt sich in der Struktur der EU wider. Die Schwächen in der Struktur zeigen sich vor allem, wenn Macht auf Zeit auch in der Hand von Tätern missbraucht wird. Aktuell dürfte dies mit der Person Orbans in Verbindung gebracht werden können. Zudem sind durch den Einfluss der Lobbyisten und der fehlenden Beteiligung durch Direkte Demokratie (Bürgerräte, Volksabstimmungen) weitere Strukturmängel in der EU dem Missbrauch ausgeliefert.
In die öffentliche Debatte hinsichtlich der Gefährdung der Idee des „ewigen Friedens“ durch Missbrauch kam die Untersuchung der Wirkung der Propaganda durch Lord Arthur Ponsonby auf das Denken und Handeln durch politische, ökonomische und wissenschaftliche Akteure, indem seine Grundregeln lauteten, dass Propaganda immer nach dem Muster erfolgt: Schuld sind immer die anderen, die sind die Bösen, wir sind die Guten, verteidigen uns nur usw. Die Gegenseite verbreitet Fake News, sie lügt, wir sagen die Wahrheit. Wir wollen Frieden, die Gegner beginnen den Krieg und verüben Kriegsverbrechen.
Im Zuge der weiteren Entwicklung des Friedens zwischen den Staaten und den Vertragsformen zur Umsetzung nimmt Max Weber zwischen den Weltkriegen I und II einen entscheidenden Einfluss auf den Diskurs zum Thema Pazifismus (Frieden als Konzept des Zusammenlebens).
Max Weber unterschied zwei bis heute diskutierte Ansätze politischen Denkens und Handelns: der Gesinnungsethik einerseits und der Verantwortungsethik andererseits.
Gesinnung betont und praktiziert dabei die Durchsetzung nur der eigenen und als richtig festgelegten Interessen, fordert Loyalität und Kumpanei ein, lässt nur eine Idee zu und verhindert den Diskurs und die Konfliktlösung. Gesinnungsgeleitete Figuren missachten die Pflicht zur Wahrheit, nutzen Fake News und bekämpfen mit unfairen Mitteln das Gegenüber, das ihm im Weg steht. Ein aktuelles Beispiel dafür ist Donald Trump, der als verurteilter Straftäter sich in die Macht des US-Präsidenten flüchten will, um den Strafen zu entkommen. (Ergänzung vom 27.07.2024 – ZDF Trumps Aussage-Form zu zukünftigen Wahlen vor seinen Anhängern, wenn sie Ende des Jahres ihn zum Präsidenten wählen würden!)
Originalzitat Trumps: „You have to get out and vote. You won’t have to do it anymore. Four years, it will be fixed, it will be fine. You won’t have to vote anymore.. In four years, you won’t have to vote again.“ – Ihr müsst rausgehen und wählen. Ihr werdet es nicht mehr tun müssen. In vier Jahren wird alles in Ordnung sein, alles wird gut. Ihr werdet nicht mehr wählen müssen. In vier Jahren werdet ihr nicht mehr wählen müssen.“)
Verantwortungsethik betont dabei, dass Politiker, Ökonomen und Wissenschaftler, die Folgen einer Handlung mit zu denken haben. Das neoliberale Weltbild rücksichtslos umzusetzen, Gesetze zu machen, die der eigenen Klientel Vorteile verschafft, verdrängt die Berücksichtigung der Folgen für diejenigen, die darunter zu leiden haben. Verantwortungsethisch zu denken und zu handeln, lässt niemals zu, Kriege zu führen, die Menschenrechte außeracht zu lassen, Macht zu missbrauchen und Frieden zu gefährden.
Verantwortungsübernahme bedeutet, dass Freiheit nicht ohne die Freiheit des anderen mitzudenken, möglich sein kann. Konfliktlösungen nicht ohne das Dramadreieck von Täter, Helfer und Opferrolle zu verlassen, möglich sind.
Im Zuge der Gefährdung durch nukleare Waffentechnologien mit den Möglichkeiten der Vernichtung des Lebens auf der Erde, aber auch durch die menschengemachte Klimaveränderung und die dadurch ebenfalls enthaltene Vernichtung der Menschheit ist die Frage nicht mehr nach einer gelingenden Lebensgestaltung, sondern zu aller erst die nach der gemeinsamen Überlebensmöglichkeit überhaupt.
Krieg und Frieden – von Tolstoi bis zu den Mitternachtsspitzen