Städtisches Lebensumfeld geplant als Ort zu wählen, wo Arbeit, Freizeit, Kultur und Gesundheitsversorgung in ausreichendem Angebot zu finden sind, dahin treibt es die meisten Menschen, sobald der Drang nach Selbständigkeit durch Ausbildung, eigenständige Verantwortlichkeit notwendig oder groß genug wurde.
Städtisches Lebensumfeld umfasst jedoch eine Reihe an Varianten, die sich in folgenden Kategorien beschreiben lassen. Kleinstadt, Mittelstadt und Großstadt mit Stadtvierteln: sie bieten andere Schwerpunkte für die eigene Lebensgestaltung als auf dem Land zu leben.
Je nach Begebenheiten für den Einzelnen wechselt mit den Altersstufen auch die Wahl für eine bestimmte Stadtgröße. Zudem beeinflussen die Sozialisation (Armut oder „Goldener Löffel“ bei Geburt vorhanden respektive dass die Menschenwürde vorgelebt wurde oder im Gegenteil Gewalt als Mittel willkürlich eingesetzt wurde oder als Erziehungsstil praktiziert wurde) und die gesellschaftliche Wirklichkeit die Ortswahl. Es bleibt das Ringen darum wie das Leben und Zusammenleben gestaltet wird. Welche Ethik zur Geltung kommt, was und wie das Denken und Handeln beeinflusst werden, durch Verantwortungsethik oder Gesinnungsethik. Sprich, ob „das Sein das Bewusstsein bestimmt“ oder „der Wille zur Macht das Leben bestimmt“! Und dann wäre noch die Frage zu stellen, ob der Zufall existiert und seine „Hände im Spiel des Lebens hat“ oder dieser Gedanke verneint werden muss!
Andreas Reckwitz, Soziologe und Kulturwissenschaftler, der aus sozial- und kulturtheoretischer Perspektive die Vereinzelung des Menschen (die Singularität der Gesellschaft) in den Blick nimmt, beschreibt in seinen Werken „Die Gesellschaft der Singularitäten“ und „Verlust. Ein Grundproblem der Moderne“ die westliche neoliberale Industrie-, Informations- und Digitalisierungsgesellschaft, die unter zunehmenden Einfluss der KI (künstlichen Intelligenz) stehen. Die Veränderung der Gesellschaft in allen Bereichen (Arbeit, Wohnen, Kommunikationsformen, Lebenssinn und gelingendes Leben sowie Glück und Zufriedenheit) macht sich vor allem daran bemerkbar, dass die Vereinzelung und das damit verbundene Motto „Jeder ist sich selbst der Nächste“ die dominante Norm der Entwicklung der aktuellen Gesellschaft beschreibt.
Zu seinen einleitenden Sätze in seinem Buch „Verlust. Ein Grundproblem der Moderne“ gehören folgende:
„Meine Grundthese will ich allerdings schon hier nennen. Sie lautet, dass die Moderne ein fundamentales Problem mit Verlusterfahrungen haben muss, und zwar deswegen, weil diese dem für die Moderne konstitutiven Fortschrittsglauben widersprechen. In die Moderne ist ein grundlegender Widerspruch zwischen Fortschritt und Verlust, zwischen dem Glauben an den Fortschritt und der Realität von Verlusterfahrungen eingebaut. Dieser Widerspruch lässt den Status von Verlusten prekär werden!“
In einer Zeit, in der sowohl die Demokratien von Egomanen á la Trump, Orban, Erdogan, u.a. ohne wirksamen Widerstand „sich unter den Nagel gerissen“ werden, in dem einzelne, skrupellose Subjekte diese Staaten zu Autokratien oder Diktaturen umkrempeln – wie dies in Nordkorea, China und Russland schon erfolgte – wiederholen sich die als „Moderne“ gekennzeichneten Umwerfungen in der Ökonomie zum Neoliberalismus auch für die Staatsformen durch die Zerstörung der Solidarität!
Statt „Solidarität“ als Grundpfeiler für Staat und Wirtschaft mit verantwortungsvollem Respekt für die Gemeinschaft zu praktizieren, werden alle Bereiche des menschlichen Lebens der Vereinzelung ausgeliefert. Das Motto „jeder ist seines Lebens Schmied“ greift in verächtlicher Form des „Sozial-Darwinismus“ um sich. Gewerkschaften sind zerstört worden durch den Angriff des Neoliberalismus auf die Autonomie der arbeitstariflichen Hoheit von Arbeitgeber- und Arbeitnehmer-Vertretung. Jeder einzelne Mensch, der am Arbeitsmarkt tätig werden muss, ist nun gezwungen, sein Einkommen durch Arbeit alleine vertraglich auszuhandeln. Die Gleichheit der Tarifpartner und das Aushandeln auf Augenhöhe finden nicht mehr statt. Parallel dazu agiert der Staat, aktuell durch die Mehrheitsfraktion CDU/CSU in der neuen Regierung mit ihren anachronistischen Wertekategorien, indem alles Potenzial staatlicher Hilfen für die Unternehmen reserviert wird (bei gleichzeitiger Steuererleichterung für die Vermögenden statt diese an den Kosten zu beteiligen) indem diese rechtskonservativen Lobbyisten in der Regierung genauso klientelorientiert agieren, wie die neoliberale FDP unter Lindner.
So wie das Trauma der Menschen nach dem WW2 (Weltkrieg 2) und die Mitverantwortung der gesamten Gesellschaft für die „Verbrechen gegen die Menschlichkeit“ in der Hitler-Diktatur nicht aufgearbeitet wurde (siehe Mitscherlichs Buch „Die Unfähigkeit zu trauern“), so un-aufgearbeitet ist das Trauma der Verluste. Die Tatsache belastete lange Jahre nach dem Weltkrieg 2 die deutsche Gesellschaft negativ. Andreas Reckwitz stellt mit seiner Analyse des aktuellen gesellschaftlichen Wandels den Kern neuer traumatischer Belastungen heraus und fasst diese mit dem Begriff: „Verlust“ zusammen, den die meisten Menschen in der ein oder anderen Form erleben.
Wer nicht gerade in einer Großstadt lebt, sondern in Mittelstädten und in gelebter Nachbarschaft miteinander verbunden ist, zu dem gehört das Miterleben des Verlustes eines Lebenspartners beim Nachbarn zum Alltag. Der Überlebende in seiner Trauer und das Mitfühlen betrifft alle in diesem Lebensumfeld.
Verlust aber geschieht nicht nur auf der privaten Lebenspartnerschafts-Ebene. Der Verlust des Arbeitsplatzes durch Krisen, sowie der Verlust der Freiheit und des Lebens durch Kriege, despotische Regierungen und Gewalt auf allen Ebenen sind Beispiele für das Erleben von Verlust der Lebensqualität.
Zu den weiteren Feldern gehören zudem der Verlust von sozialer Sicherheit wie auch der Verlust der Gesundheit, sowie der Fähigkeit zur Einsicht, zur Konfliktlösung, zur Erkenntnis und zur Resilienz.
„Verlustängste“ sind Folgen des erlebten Verlustes. Verlustbewältigung ist wiederum in der aktuellen „XY-Post-Modernen-Gesellschaft“ zwar ein massenhaftes Ereignis, jedoch in der Wertordnung der neoliberalen Gesellschaft ein subjektives Problem, das dem Einzelnen aufgebürdet wird.
„Friß oder stirb!“ ist die Devise des Neoliberalismus – ein verwandtes Motto des „Jeder ist seines Glückes Schmied!“ Der Angriff auf die Persönlichkeit des anderen Menschen in den „a-sozialen Medien“ ist Ausdruck der Ellenbogen-Gesellschaft und nur eine der vielen Erscheinungs-Formen der Vereinzelungs-Entwicklung.
Der Rückzug ins Private bietet jedoch keine Gewähr, davon verschont zu bleiben. Einsamkeit auf vielen Ebenen ist Ausdruck des Zeitgeistes. Genau in dieses Konglomerat der komplexen Veränderungen frisst sich die Verlustangst, das bisher erreichte (oft auf das Materielle beschränkt) zu verlieren. Der Mittelstand und ihre materiellen Investitionen in die Zukunft (oft vom Marketing als „Vorsorge fürs Alter“ verkauft) machen abhängig und sind zugleich gefährdet durch unverschuldete Krisen und Kriege – auch durch die kriminell fundierten systemischen Auslöser wie die „Bankenkrise“ 2008/2009 und die „CUM-EX“ und „CUM-CUM-EX“-Verbrechen!
Die Gesellschaften des Neoliberalen-Kosmos erodieren und werden durch Crashs des Systems Börse extrem gefährdet. Neues Gefährdungspotenzial erwächst aus den Krypto-Währungen! Die – wie Trumps Pseudo-Währung – die Gier als Motivation zum Kauf eines irrationalen Produktes bewirkt und neue leidvolle Verluste produziert. Dieser in Narrative verpackter „Pseudo-Fortschritt“ schafft Verluste, weil der versprochene Wohlstand ausbleibt, und diese Systematik nicht als systemimmanent begriffen wird, sondern als Schuld des einzelnen Versagers definiert wird.
In dieses Umfeld gehören dann auch die „Selbstoptimierung“ und die „Selbstausbeutung“ als Merkmal des radikalen Neoliberalismus. Eine „Un-Kultur“ der Selbstverwirklichung folgt den vorgegebenen Pfaden und pervertiert in den Formaten des Privat-Fernsehen á la Dating-Shows und Shopping-Serien wie „Zwischen Tüll und Tränen“.
Reckwitz` Werk über den Begriff und die Bedeutung von Verlust für den Zeitgeist verweist auf die neoliberalistische Gesinnung und ihre Ansätze, dass das Versagen das Problem des einzelnen Menschen sei, und dass es bei den „Verluste(n) sich nicht mehr um Verluste der anderen, sondern um eigene Verluste“ handeln würde!
Diese Weltsicht passt ins Gesamtbild der verbohrten neoliberalen Lobbyisten, „die Belastungen des Systems durch das Bürgergeld“, abzuschaffen, sei zum Wohle der gesamten Gesellschaft. Jedoch steckt die Absicht dahinter, die Arbeitssuchenden in die Systeme der unterdrückenden Ausbeutung zu drängen, und einer anachronistischen Gesinnung nachzueifern, dass „Arbeit sich wieder lohnen müsse“. Da fehlt allerdings die Ergänzung: „… unter dieser Bürgergeld-Diskreditierung lohnt sich dies nur für die Vermögenden und die Unternehmer!“
Diese Absicht zu verdecken und Narrative in die Welt zu setzen, wie dies Teile der CDU/CSU-Fraktion und Regierung praktizieren, die o.g. Absichten zu verschleiern und von den gebrochenen Versprechen der Merz-CDU/CSU abzulenken, ist mehr als entlarvend!
Die Friedrich Ebert Stiftung hat den Autor Reckwitz für sein Werk „Verlust. Ein Grundproblem der Moderne“ mit dem Preis „Das politische Buch 2025“ ausgezeichnet. Die Preisverleihung fand am 21. Mai 2025 in Berlin statt.
Reckwitz setzt seiner Analyse die folgenden Aphorismen voran:
»Die idealistische Fabel von der List der Vernunft, durch die das Grauen der Vergangenheit mittels des guten Endes beschönigt wird, plaudert die Wahrheit aus, daß an den Triumphen der Gesellschaft Blut und Elend haftet. Der Rest ist Ideologie.« Max Horkheimer
»Freedom is just another word for nothing left to lose.« Janis Joplin
»Der Mensch leidet, weil er Dinge zu besitzen und zu behalten begehrt, die ihrer Natur nach vergänglich sind.« Siddhartha Gautama
»Der Weg der Realität ist mit verlorenen Objekten gesäumt.« Paul Ricœur
»Ever tried. Ever failed. No matter. Try again. Fail again. Fail better.« Samuel Becket
Gesinnung versus Verantwortung in Regierungen, Politik und Demokratie – von Freiheit und Sicherheit
Auflistung der Beiträge zur Verantwortungsethik auf diesem Blog.